Thiel, Auguste Bertha - Frauen in der Leipziger Politik
geboren/ gestorben
13. Dezember 1874 (Zobten bei Breslau) - 28. November 1961 (Leipzig)
Ausbildung
Sie erlernte den Beruf der Buchbinderin.
Gesellschaftliches Engagement
1894 trat sie der SPD und der Buchbindergewerkschaft bei; in letzterer arbeitete sie auch im Vorstand mit.
Partei
USPD, SPD
Rolle im Stadtrat
Als eine von zehn Frauen wurde sie 1919 in das Stadtverordnetenkollegium in Leipzig gewählt und gehörte ihm bis Ende 1929 an. Berta Thiel wurde zudem als Mitglied des Hauptausschusses in den am 23. April 1919 neugewählten Großen Arbeiterrat von Leipzig gewählt.
Als Stadtverordnete engagierte sie sich von Beginn an für die Unterstützung von Arbeitslosen sowie für erwerbstätige junge Frauen und arbeitete im Ausschuss für den Arbeitsnachweis mit. Sie war zudem seit 1919 Mitglied im Aufnahme-Ausschuss und Finanz-Ausschuss und bemühte sich in letzterem vor allem um den Ausbau der städtischen Bücherhallen. Nachdem Johanna Schult im Jahr 1927 zur unbezahlten Stadträtin gewählt worden war, übernahm Bertha Thiel das Feld der Jugendfürsorge in der SPD-Fraktion und wirkte in den Ausschüssen für Jugendfürsorge und Wohlfahrt mit.
Porträt
Bertha Thiel wurde am 13. Dezember 1874 in Zobten bei Breslau geboren. Im Jahre 1892 übersiedelte sie nach Leipzig. Sie erlernte den Beruf der Buchbinderin. 1894 trat sie der SPD und der Buchbindergewerkschaft bei; in letzterer arbeitete sie auch im Vorstand mit. Im Jahr 1899 heiratete sie den ebenfalls aus Zobten stammenden Arbeiter Paul Hermann Thiel , der gelernter Bäcker war, aber in Leipzig als Lackierer und Markthelfer arbeitete und der 1900 ebenfalls Mitglied der SPD wurde. Nach der Heirat gab sie ihren Beruf auf. Im Jahr 1900 kam ihre einzige Tochter, Charlotte zur Welt, die aber bereits im Jahr 1903 wieder verstarb. In der sozialdemokratischen Partei wandte sie sich vor allem den Interessen der Frauen zu und versuchte, diese für sozialdemokratische Ziele zu gewinnen. Sie war zudem in der sozialistischen Jugendbewegung, insbesondere bei der 1923 gegründeten Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde der SPD, aktiv. Während des Ersten Weltkrieges stand sie zeitweise unter polizeilicher Beobachtung. Im Jahr 1917 wechselte sie mit dem überwiegenden Teil der Leipziger SPD zur USPD.
Nach der Novemberrevolution 1918 trat sie aus der Kirche aus und kandidierte bei den Wahlen zur konstituierenden deutschen Nationalversammlung und den Stadtverordnetenwahlen im Januar 1919 für die USPD. Als eine von zehn Frauen wurde sie 1919 in das Stadtverordnetenkollegium in Leipzig gewählt und gehörte ihm bis Ende 1929 an. Berta Thiel wurde zudem als Mitglied des Hauptausschusses in den am 23. April 1919 neugewählten Großen Arbeiterrat von Leipzig gewählt.
Als Stadtverordnete engagierte sie sich von Beginn an für die Unterstützung von Arbeitslosen sowie für erwerbstätige junge Frauen und arbeitete im Ausschuss für den Arbeitsnachweis mit. Sie war zudem seit 1919 Mitglied im Aufnahme-Ausschuss und Finanz-Ausschuss und bemühte sich in letzterem vor allem um den Ausbau der städtischen Bücherhallen. Nachdem Johanna Schult im Jahr 1927 zur unbezahlten Stadträtin gewählt worden war, übernahm Bertha Thiel das Feld der Jugendfürsorge in der SPD-Fraktion und wirkte in den Ausschüssen für Jugendfürsorge und Wohlfahrt mit.
1922 trat sie mit der Mehrheit der Leipziger USPD der VSPD bei. Bertha Thiel kandidierte in den 1920er Jahren bei allen Reichstagswahlen, zuerst für die USPD, seit 1924 dann für die SPD - allerdings stets auf einem hinteren Listenplatz, der wenig Aussicht auf einen Wahlerfolg versprach. Im Jahr 1928 kandidierte sie dann erfolgreich auf der Liste der SPD für den Sächsischen Landtag, dem sie bis 1933 angehörte. Nachdem sie bereits im Jahr 1903 ihr einziges Kind verloren hatte, starb 1931 auch ihr Ehemann. Sie stürzte sich in der Folge noch stärker in die Parteiarbeit. Der Bezirksparteitag der SPD wählte sie im Jahr 1933 in den engeren Bezirksvorstand. Zudem gehörte sie seit Ende der 1920er Jahre dem Parteiausschuss als Vertreterin der Frauen an. Seit den 1920er Jahren war sie zudem ehrenamtlich als Schöffin und Geschworene tätig.
Am 1. Dezember 1933 wurde sie aus politischen Gründen verhaftet und am 20. Dezember 1933 wieder entlassen. Die schlechten Haftbedingungen, insbesondere die große Kälte, der die Gefangene weitgehend schutzlos ausgeliefert worden war, verursachten bei ihr dauernde gesundheitliche Leiden. Obwohl sie nach der Haftentlassung unter polizeilicher Beobachtung stand, war sie weiter in den illegalen sozialdemokratischen Strukturen tätig. Sie organisierte unter anderem zusammen mit anderen ehemaligen SPD-Mitgliedern für die Familien verhafteter Genossen Lebensmittel. Nachdem ihre Leipziger Wohnung beim Bombenangriff vom 5. Dezember 1943 völlig zerstört worden war, ging sie nach Löhmigen im Süden von Altenburg. Auch in ihrem neuen Umfeld suchte sie Menschen gegen das NS-Regime zu mobilisieren.
Nach der Kapitulation Deutschlands war sie sofort wieder politisch aktiv. Sie trat der SPD bei und machte die Vereinigung 1946 zur SED mit. Im Juni 1946 kehrte sie nach Leipzig zurück. Später war sie im Vorstand des Vereins der Verfolgten des Naziregimes (VVN) aktiv. Die DDR ehrte die Verdienste Bertha Thiels in der organisierten Arbeiterbewegung durch die Verleihung der Clara-Zetkin-Medaille. 87-jährig starb sie am 28. November 1961 in Leipzig und wurde am 1. Dezember 1961 auf dem Südfriedhof beigesetzt.
Thomas Höpel, 2018
Quellen
Literatur
- Herbert Kaiser/ Bärbel Sanchez/ Mohamed Ahmad (Herausgeber/-innen), ... mehr arbeiten und noch mehr darben ...? Arbeiteralltag im Leipzig der zwanziger Jahre, Leipzig, Seite 95.
- Peter Kuhlbrodt, Die proletarische Frauenbewegung in Deutschland am Vorabend und während der Novemberrevolution (Herbst 1917 bis Anfang Mai 1919), Dissertation A, Pädagogische Hochschule "Clara Zetkin" Leipzig 1981, Seite 421.
- Mike Schmeitzner/ Michael Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie im Sächsischen Landtag, Dresden 21998, Seite 239
- Christl Wickert, Unsere Erwählten. Sozialdemokratische Frauen im Deutschen Reichstag und im Preußischen Landtag 1919-1933, Band 2, Göttingen 1986, Seite 11.
Archive
- Hauptstaatsarchiv Dresden, 10693, Volkskammer/ Landtag des Freistaates Sachsen 1919 - 1933, Nr. 3855.
- Sächs. Staatsarchiv, StA-L, 20031, Polizeipräsidium Leipzig, PP-M 1327 (SF 9773, Seite 606).
- Sächs. Staatsarchiv, StA-L, 20031, Polizeipräsidium Leipzig, PP-M 2949 (SF 9590, Seite 409).
- Sächs. Staatsarchiv, StA-L, 20031, Polizeipräsidium Leipzig, PP-S 8504: Polizeigefängnis Leipzig, Gefangenentagebuch, Laufende Nummer 12852.
- Sächs. Staatsarchiv, StA-L, 20237, Bezirkstag und Rat des Bezirkes, Nummer 18006.
Gedruckte Quellen
- Handbuch. Die Verwaltung der Stadt Leipzig 1929/30, Seite 35, 38, 40, 43, 58, 94.
- Leipziger Allgemeine Zeitung, Nummer 18, 19. Januar 1919, Seite 3: "Die Kandidaturen für den Wahlkreis Leipzig".
- Leipziger Volkszeitung, Nummer 140, 19. Juni 1930, Wahlbeilage Nummer 12: "12 Kandidaten der Sozialdemokratie".
- Leipziger Volkszeitung, Nummer 330, 29. November 1961, Seite 11.
- Leipziger Volkszeitung, Nummer 332, 2. Dezember 1961, Seite 16: Bruno Frank "Nachruf auf Bertha Thiel".
- Verhandlungen der Stadtverordneten zu Leipzig im Jahre 1919.
- Die Verwaltung der Stadt Leipzig 1922, Seite 28.