Traurig sehe ich Bilder von verzweifelten Vätern und Müttern, die für sich und ihre Kinder keinen Ausweg sehen, als das Risiko einzugehen, sich in in Schlauchboote zu setzen um das Mittelmeer in Richtung Sicherheit zu überqueren. Nein, die Bilder der frierenden Menschen auf der Flucht überall in Europa lassen mich nicht kalt. Ich stelle mir unweigerlich die Fragen: Was hätte ich gemacht, um meine Kinder vor dem Krieg zu retten? Welches Risiko wäre ich eingegangen? Wem hätte ich vertraut, dass er mir und meinen Kindern die Chance auf ein sicheres Leben geboten hätte?
Es ist meine feste Überzeugung, dass wir heute und jetzt in der Verantwortung - vor allem vor uns selbst, für die Werte des Humanismus, die wir uns ins Grundgesetz, in Gesetze, in Parteiprogramme und bisweilen in Sonntagspredigten geschrieben haben. Wir stehen in der Verantwortung, unsere vermeintlich hohen moralischen Maßstäbe in Handeln umzusetzen.
Wir alles wissen, das Ziel vieler Schutzsuchenden ist Europa und vor allem Deutschland. Niemand weiß wirklich, ob in diesem Jahr 800.000 oder über eine Millionen oder noch mehr Menschen zu uns kommen werden. Es steht völlig außer Frage: Unsere Verantwortung für die Menschen, für die die kommen und die die schon da sind, also für die Flüchtlinge und natürlich auch für die Menschen in Deutschland ist groß.
Ich möchte ihnen - jenseits der Informationen, die sie kontinuierlich in den Fachgremien und Ausschüssen bekommen - über den aktuellen Stand in Leipzig informieren.
Zur Erinnerung: Im Februar 2015 sah die ersten Prognose des Freistaates Sachsen für das laufende Jahr rund 1.700 Flüchtlinge, die der Stadt Leipzig zugewiesen werden voraus, mit denen wir auch geplant haben. Im Lichte der Ereignisse der vergangenen Monate wurde diese Prognose mehrfach angehoben auf zuletzt 5.400 Menschen mit Stand August. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch diese Prognose der Menschen, für die wir verantwortlich sind, nur ein Zwischenstand sein wird. Niemand kann momentan sicher voraussagen, wie viele Menschen tatsächlich zu uns und damit letztlich auch in unsere Stadt kommen.
Hier im Stadtrat ist nicht der Ort, um über politische Entscheidungen in Berlin oder Brüssel zu befinden. Wir stehen in der Verantwortung für die Menschen, die zu uns kommen. Was bedeutet die aktuelle Situation also für uns als Stadt Leipzig und wie handeln wir?
Unterbringung
Ich möchte voranstellen: Grundsätzlich bleibt das von Ihnen beschlossene Konzept der dezentralen Unterbringung unberührt. Aber: Die große Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge in immer kürzeren Zeiträumen verlangt von uns unkonventionelle und schnelle Lösungen, wobei ich folgende Prämissen festgelegt habe: Wir wollen die Menschen möglichst menschenwürdig unterbringen, die Bedürfnisse an Privatsphäre soweit möglich sicherstellen. Gleichzeitig ist es uns wichtig, wenn irgendmöglich Einschränkungen für Leipzigerinnen und Leipziger zu umgehen: also keine Nutzung von Turnhallen und anderen in Nutzung befindlichen öffentlichen Einrichtungen.
Um das sicherzustellen haben wir vor kurzem eine ämterübergreifende Projektgruppe "Asylräume" installiert, die mit Hochdruck an der Erruierung und Bereitstellung von Unterkünften arbeitet.
Mein ausdrücklicher Dank geht an dieser Stelle an das Sozialamt. Ich in überaus dankbar für das herausragende Engagement, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialamtes in den vergangenen Monaten geleistet haben.
Zu den Fakten: Alle bestehenden Unterkünfte sind derzeit mindestens voll ausgelastet. Gleichzeitig sind mehr als 500 Gewährleistungswohnungen überall im Stadtgebiet belegt.
Nach derzeitigem Stand und unter Berücksichtigung der aktuellen - wohlgemerkt ungewissen - Prognosen besteht allein bis Jahresende 2015 noch ein Defizit von rund 1.800 Plätzen. Diese Zahl ändert sich jedoch beständig, zum einen, weil die Zahl der tatsächlich zugewiesenen Personen beständig in Bewegung ist. Andererseits sind wir - im Vergleich zu vielen Kommunen im Westen Deutschlands - in der relativ komfortablen Lage, dass der Immobilienmarkt noch über Kapazitäten verfügt und die Zahl der eingehenden Angebote groß ist.
Richtig ist allerdings auch, dass es momentan auch unmoralische Angebote und Geschäftemacher gibt, die versuchen, die aktuelle Situation auszunutzen. Wir prüfen in jedem Fall sorgsam und agieren sparsam mit öffentlichen Mitteln.
Wir werden aber - und das werden wir in gleich in konkreten Einzelvorlagen besprechen - auch große, kurzfristige und interimistische Unterbringungen benötigen.
Das Problem ist nicht die Anzahl der Menschen, die zu uns kommen. Leipzig verträgt gut 10.000 bis 15.000 neue Mitbürgerinnen und Mitbürger pro Jahr mehr. Unser Problem ist die hohe Taktzahl, in der die Menschen zu uns kommen.
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Seit Juni 2015 ist die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Leipzig von 20 auf derzeit 272 gestiegen. Vor dem Hintergrund geänderter bundesweiter Rahmenbedingungen für unbegleitete minderjährige Asylbewerber gehen wir nach den uns vorliegenden Informationen davon aus, dass wir in den nächsten Tagen und Wochen innerhalb kürzester Zeit weitere 200 bis 300 Kinder und Jugendliche unterbringen müssen. Weil - und das ist gut so - vor dem Gesetz Kinder unabhängig ihrer Herkunft alle gleich sind gelten für die Inobhutnahme von unbegleiteten minderjährigen Asylbewerber die gleichen Anforderungen, wie für deutsche Kinder. Die Stadt Leipzig hat sich auf diese kurzfristig veränderte Situation einzustellen und baut die akuten Betreuungsmöglichkeiten derzeit massiv aus. Neben den infrastrukturellen Herausforderungen ist damit vor allem auch ein deutlicher Personalaufwand notwendig. Laut gültigem Betriebserlaubnisverfahren sind pro 50 Plätze 30 VzÄ notwendig, welche wir durch Fachpersonal und geeignete Personen absichern wollen. Ein Aufruf innerhalb der Verwaltung, sich freiwillig für einen temporären Einsatz zu melden läuft derzeit. Gleichzeitig werden wir auch mit einer Kampagne extern gezielt nach Personal und Pflegefamilien suchen.
Personal
Auch hier arbeiten wir strukturiert die vor uns liegenden Aufgaben ab. Wir haben geprüft, welche Ressourcen für die zusätzlichen Aufgaben notwendig sein werden und unsere Personalplanungen entsprechend angepasst. Ich kann ihnen versichern, dass wir dabei sorgsam und sparsam vorgegangen sind. Das bedeutet aber auch, dass ich ihnen heute nicht sicher sagen kann, dass wir aufgrund steigender Aufgaben in Kürze nicht weitere Personalzuwächse planen müssen.
Integration
Unser derzeitiger Fokus liegt klar auf der originären Unterbringung der Menschen, die zu uns kommen. Das erfordert viel Kraft und wir wissen gleichzeitig, dies kann erst der erste Schritt der Aufgaben sein, die vor uns liegen. Wir arbeiten derzeit - gemeinsam mit vielen Akteuren von der Arbeitsagentur, bis zu Vereinen und Verbänden, von den Kammern bis zum Sport - an einem Bündel von Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, die zu uns kommenden Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren. Die Bundesregierung geht aktuell davon aus, dass 40-50% der Menschen, die derzeit zu uns kommen auch dauerhaft bei uns bleiben werden. Ich bin mir sicher: Gerade im Bereich Integration liegt der Hauptteil der Aufgaben noch vor uns. Die große Zahl der Menschen, die zu uns kommen wird aber neue Lösungsansätze und Herangehensweisen von uns verlangen. Wir arbeiten daran intensiv und werden ihnen alsbald einen Rahmen und Maßnahmen unterbreiten.
Eine grundlegende Prämisse haben wir war mir wichtig, die vorab festzulegen: Alle Angebote und Leistungen müssen sich in bestehende Strukturen und Programme einpassen und grundsätzlich für jeden Hilfebedürftigen - Flüchtlinge und schon lange hier lebende Bürgerinnen und Bürger - erreichbar sein.
Finanzen
Sehr geehrte Damen und Herren, all die vor uns liegenden Maßnahmen werden viel Geld kosten. Ich kann ihnen heute noch nicht abschließend sagen, wieviel. Es wäre unlauter jetzt irgendwelche Zahlen als Marke zu definieren, gerade vor dem Hintergrund der Dynamik der Ereignisse.
Fest steht: Die Bundesregierung hat klare Zusagen zur Finanzierung gemacht. Mit dem Freistaat Sachen stehen wir im intensiven Austausch darüber, wie die uns entstehenden konkret Kosten übernommen werden. Ich setze hier auf die Zusagen der Bundeskanzlerin und des Ministerpräsidenten. Wir gehen davon aus, dass allein die Unterbringung eines Flüchtlings pro Jahr - ohne investive Kosten - rund 10.000 Euro kostet.
Erlauben sie mir an dieser Stelle eine Anmerkung: Sie wissen, dass die Zusammenarbeit mit dem Freistaat im Aufgabenfeld Asyl nicht immer Konfliktfrei war und ich darüber auch kein Blatt vor den Munde genommen habe. Die Situation ist heute eine andere als noch vor drei Monaten: Wir sitzen oft und intensiv mit Vertretern des Freistaates Sachsen zusammen und insbesondere mit dem Finanzminister hat sich ein enges und konstruktives Arbeits- und Abstimmungsverhältnis herausgebildet. Wir sind uns einig, die vor uns liegenden Aufgaben gemeinschaftlich gelöst werden können. Denn natürlich sind die Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Freistaates in Leipzig auch Menschen unserer Stadt.
Was bedeutet das für uns konkret?
Mit Benennung der in den verschiedenen Vorlagen zur Schaffung von Unterkünften für Asylbewerber zur Deckung vorgeschlagenen Kostenstellen "Unterjährige Finanzierung ohne Deckung Ergebnis-/Finanzhaushalt" wird deutlich, dass die Deckung zunächst über die Liquidität erfolgen muss. Aktuell können andere Deckungsvorschläge nicht aufgezeigt werden.
Ich bitte Sie um ihr Verständnis für diese Herangehensweise - das geht im Moment allen Kommunen und Landkreisen.
Wir gehen fest davon aus: Eine Refinanzierung der Kosten durch Bund und Land, wird dann wieder zu einer entsprechenden Erhöhung der Liquidität führen.
Zum heutigen Zeitpunkt bedeutet diese Entnahme aus der Liquidität keine Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der Stadt Leipzig, dies insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Anzahl an veranschlagten, aber noch nicht umgesetzten Investitionsmaßnahmen. Insofern muss auch aktuell nicht die Aufnahme eines Kassenkredites befürchtet werden. Konkretere Aussagen hierzu werden mit dem Finanzbericht zum 30.09.2015 getroffen werden können.
Ich möchte noch einmal in aller Deutlichkeit festhalten: Wir werden nicht für Schulen, Vereine, Kitas, Sport usw. sparen. Keine Schule wird nicht saniert, keine Kita wird nicht gebaut, kein Verein bekommt weniger Geld!
Ich weiß, dass einige von Ihnen sehr verehrte Stadträtinnen und Stadträte Unbehagen damit haben, der Verwaltung für den Verantwortungsbereich Asyl zusätzliche Haushaltsmittel außerplanmäßig zur Verfügung zu stellen. Ich verstehe das. Der Haushalt ist und bleibt ihr schärfstes Instrument, mit dem sie unsere Stadt gestalten. Das ist so und muss so bleiben. Aber ich bitte Sie herzlich um ihr Vertrauen und ihre Unterstützung: Die Unterbringung der Flüchtlinge ist eine Pflicht, derer wir uns nicht entziehen können und die Dynamik der Entwicklungen braucht eine Verwaltung die schnell - sehr schnell - handelt. Wenn in der nächsten Woche 200 Menschen kommen können wir nicht mit jeder Entscheidung langwierig den Weg durch alle Gremien gehen. Der Gesetzgeber hat darum per Erlass den Kommunen erweiterte Gestaltungsmöglichkeiten gegeben, auch schnell agieren zu können. Ich kann ihnen versichern, wir haben unser Herangehen mit der Landesdirektion abgestimmt und diese teilt mit dem Hinweis, dass der Stadtrat kontinuierlich über die konkrete Bewirtschaftung der Mittel zu unterrichten ist. Dies tun wir mit monatlichen Sachstandsberichten, in den ihnen vorliegenden Vorlagen und kontinuierlich in den Fachgremien.
Meine sehr verehrten Damen und Herren Stadträtinnen und Stadträte, verehrte Gäste, liebe Leipzigerinnen und Leipziger,
ich glaube, wir erleben derzeit eine Entwicklung, wir sind Teil einer Entwicklung, wie sie Europa und ganz besonders Deutschland bisher lange nicht erlebt hat. Millionen Menschen sind auf der Flucht vor Krieg und Verderben und haben ein Ziel: Deutschland. Jahrzehntelang war Deutschland in der letztlich komfortablen Situation, weltweit aktiv zu sein und positiv von der Globalisierung zu profitieren. Nun sind wir erreichbares Sehnsuchtsziel.
Über Jahrhunderte haben wir uns ein Menschenbild erarbeitet und gesetzlich codifiziert, über das wir vermutlich auch in diesen Reihen hier wenig streiten müssten: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
Auf diesem Boden steht unser Land und das wird gerade von rechts außen mit den Füßen getreten.
Meine Damen und Herren, jetzt müssen wir uns für unsere Werte messen lassen.
Deutschland und den allermeisten Menschen in unserem Land geht es gut - vielen sehr gut. Die Ängste und Befürchtungen, der Menschen in Deutschland sind - aber bitte nehmen wir doch die Angst derer, die zu uns kommen ernst.
Ich bin gewählt als Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt, die sich hervorragend entwickelt. Vor wenigen Tagen wurde uns bescheinigt, dass wir unter den deutschen Großstädten nach München und Berlin die besten Voraussetzungen haben, uns weiter positiv zu entwickeln. Wir haben heute erstmals eine Acht vor dem Komma der Arbeitslosenzahlen. Ich bin mir sicher, für unsere Zukunft muss uns nicht bange sein.
Wer, wenn nicht wir als eines der hochentwickeltsten Länder unserer Welt, mit bester Infrastruktur, effizienten funktionierenden Verwaltungen, gesunder Prosperität wäre in der Lage, Menschen in Not Schutz und Hilfe zu bieten?
Ich bin mir sicher: Was wir heute brauchen, ist Mut und Zuversicht, Kraft und Gründlichkeit. Es hilft uns weder, sozialromantisch zu verklären, noch unnötige Panik zu schüren. Natürlich müssen wir ansprechen, wo es klemmt, wie zum Beispiel bei den Frauenrechten. Vor allem aber sind wir dafür gewählt, zu gestalten und aus unseren Gesetzen Handeln abzuleiten. Das können wir. Ja, es gibt Ängste ob dessen, was auf uns zukommt. Aber ich glaube, ja ich bin mir sicher, viele werden verschwinden, wenn der Fremde zum Nachbarn, zum Arbeitskollegen, zum Schulkameraden oder zum Sportfreund wird.
Leipzig ist seit Jahrhunderten gewachsen, weil Menschen von überall zu uns gekommen sind. Hier haben schon einmal 700.000 Menschen gelebt und trotzdem oder gerade darum war Leipzig eine der reichsten Städte in Deutschland.
Meine Damen und Herren, lassen sie mich mit ein paar sehr persönlichen Worten enden:
Ich habe in den vergangen Tagen schon mehrfach gesagt, ich glaube, wir haben in Deutschland ein Rassismusproblem und kein Flüchtlingsproblem. Ja, Flüchtlinge sind Menschen und Menschen sind für mich kein Problem. Das sage ich als Christ oder einfach nur als Mensch. Ich habe aber sehr wohl ein Problem damit, in einem Land zu leben, in in kürzester Zeit 500 mal Anschläge auf Menschen verübt werden und kein Aufschrei durch das Land geht. Stellen sie sich vor, es hätte auch nur drei Anschläge auf - nehmen wir mal an - Senioreneinrichtungen oder Schulen gegeben - hätten wir dann auch bis zum 500. gewartet bis wir mit aller Konsequenz nein sagen? Das ist nicht das Land in dem ich leben möchte, in dem zwischen Häusern, in denen Menschen leben und Häusern in denen Menschen leben unterschieden wird. Hier sind wir alle gefragt!
Lassen sie uns gemeinsam konsequent auf unser Grundgesetz blicken und dieses mit Leben erfüllen: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Ich bitte Sie und den Stadtrat um Ihr Vertrauen für unsere Arbeit für eine Stadt, in der alle, die hier wohnen Leipziger sind.