Wagner, Johanne Rosine (später: Geyer, auch: Wagner-Geyer), geborene Pätz - Leipziger Frauenporträts
Johanne Rosine Wagner (1774–1848), Ölgemälde von Ludwig Geyer, 1813 © Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Musik
geboren/ gestorben
19. September 1774 (Weißenfels) – 09. Januar 1848 (Leipzig)
Zitat
„... aus ihrem Heimatorte hatte sie weder eine tiefe, noch vielseitige Bildung mitgebracht; aber sie besaß etwas Wertvolleres als dies: eine wohltuende Heiterkeit, einen unversieglichen Witz, der rasch über die Situation verfügt, und ein praktisches Geschick, das sich die Dinge so gut als möglich zurechtlegt.“ Carl Friedrich Glasenapp: Das Leben Richard Wagners, 1. Band, III. Friedrich Wagner, Seite 36.
Kurzporträt
Johanne Rosine Wagner erlangte als Mutter des Dichterkomponisten Richard Wagner Berühmtheit. 1842 erlebte sie in Dresden die triumphale Uraufführung seiner Oper „Rienzi“ mit. Ihre zweite Ehe mit dem Hofschauspieler, Porträtmaler und Dichter Ludwig Geyer hatte den Grundstein für die Künstlerkarriere von vier ihrer Kinder gelegt.
Herkunftsfamilie
- Vater: Johann Gottlob Pätz, 13.10.1741 (Weißenfels) – 17.01.1802 (Weißenfels), Bürger und Weißbäckermeister.
- Mutter: Dorothea Erdmuth Iglisch, 30.06.1742 (Weißenfels) – 05.01.1789 (Weißenfels), entstammte einer Weißgerberfamilie, verheiratet am 11.01.1763.
- Geschwister: sechs (Namen und Lebensdaten bisher unbekannt).
Biografie
Johanne Rosine Pätz war erleichtert, dass ihr der Jurist Carl Friedrich Wilhelm Wagner den Hof machte, nachdem ihr heimlicher Liebhaber Prinz Constantin von Sachsen-Weimar-Eisenach nach dreijähriger Liaison am Nervenfieber gestorben war. Weil Friedrich Wagner ab dem 1. April 1797 eine Stelle als Viceactuarius beim Stadtgericht im Leipziger Rathaus erhielt, konnten beide am 2. Juni 1798 in Schönefeld heiraten. Einen drolligen Humor und gute Laune hob Richard Wagner als Hauptcharakterzug seiner Mutter hervor. Freunde und Zeitgenossen lobten ihren praktischen Blick und frischen Mutterwitz sowie ihre Menschen- und Weltkenntnis. Neun Kindern schenkte Johanne Rosine in fünfzehn Ehejahren das Leben: Albert (2. März 1799), Gustav (21. Juli 1801), Rosalie (4. März 1803), Julius (7. August 1804), Louise (14. Dezember 1805), Clara (29. November 1807), Maria Theresia (1. April 1809), Ottilie (4. März 1811) und Richard (22. Mai 1813). Mann und Kindern gegenüber verfälschte sie ihre Vergangenheit: Ein hoher väterlicher Freund, ein weimarischer Prinz, hätte sie als Pflegetochter in einer gewählten Erziehungsanstalt in Leipzig untergebracht, sich um ihre Erziehung gekümmert und um ihre Familie in Weißenfels verdient gemacht. Bis in die 1940er Jahre glaubte man in Bayreuth, sie sei die uneheliche Tochter des Prinzen gewesen.
Seit dem 1. Januar 1811 arbeitete Friedrich Wagner wegen seiner ausgezeichneten Französischkenntnisse als Actuarius im neugegründeten Polizeiamt. Er liebte das Theater, besonders die Schillerschen Dramen, und trat in Liebhaberaufführungen im Thomäischen Haus (Königshaus) am Markt auf. Hier lernte er Ludwig Geyer, den späteren Freund der Familie, kennen, und riet ihm, Berufsschauspieler zu werden. Seine Besoldung betrug 1045 Taler jährlich, und er hätte unbesorgt in die Zukunft schauen können, wenn die politische Lage nicht so unsicher gewesen wäre. Denn nach ihrem Sieg in der Schlacht von Jena und Auerstedt waren napoleonische Truppen in Sachsen einmarschiert und hatten das Land mit Leipzig als Zentrum unter französische Militärverwaltung gestellt. Johanne Rosine, wegen ihrer vielen Schwangerschaften und der zahlreichen Kinderschar mehr und mehr ans Haus gefesselt, war froh, dass ihr Ludwig Geyer Gesellschaft leistete, wenn ihr Mann abwesend war. Als sie am 22. Mai 1813 ihren vierten Sohn zur Welt brachte, waren die Kampfhandlungen bedrohlich näher gerückt, und im Sommer traten Österreich, Schweden und Russland in den Krieg gegen Frankreich ein. Erst am 16. August wurde das Neugeborene in der Thomaskirche auf die Namen Wilhelm Richard getauft.
Nach der Völkerschlacht vom 16. bis 19. Oktober 1813 brachen durch die katastrophalen hygienischen Bedingungen in den Militärlazaretten unter den verwundeten und kranken Soldaten Ruhr, Fleckfieber und Typhus aus und griffen auf die Bevölkerung über. Mehr als ein Zehntel der dreiunddreißigtausend Leipziger Einwohner verloren ihr Leben. Friedrich Wagner starb am 23. November 1813 und wurde wegen der Ansteckungsgefahr zwei Tage später auf dem Johannisfriedhof begraben. Ludwig Geyer kümmerte sich aufopferungsvoll um die Kinder seines Freundes und dessen Witwe, die neben dem Verlust ihres Mannes den ihrer Tochter Maria Theresia beklagen musste. Am 28. August 1814, Goethes Geburtstag, gab ihm Johanne Rosine in Pötewitz bei Zeitz ihr Jawort. Die Familie siedelte nach Dresden über. Am 26. Februar 1815 wurde die gemeinsame Tochter Cäcilie geboren. Doch schon am 30. September 1821 starb der Königlich Sächsische Hofschauspieler im Alter von zweiundvierzig Jahren.
Ende 1827 kehrte Johanne Rosine mit Ottilie, Richard und Cäcilie nach Leipzig zurück. Ab Herbst 1829 nahm Rosalie den Platz ihrer Schwester Louise am Theater ein, die den Buchhändler Friedrich Brockhaus geheiratet hatte. Richard genoss den freien Eintritt zu den Vorstellungen und seine Vorzugsstellung in dem Frauenhaushalt. Klein und schwächlich, gab er der Mutter häufig Anlass zur Sorge. Er liebte sie zärtlich, was ihn aber nicht daran hinderte, den eigenen Kopf durchzusetzen und ihr manches Ungemach zu bereiten, Trotzdem hielt sie immer zu ihm. Letztendlich konnte sie seinen Triumph als gefeierter Opernkomponist und Hofkapellmeister in Dresden miterleben.
Seit 1834 als Schutzverwandte der Stadt Leipzig im Besitz des niederen Bürgerrechts, verbrachte Johanne Rosine ihre letzten Lebensjahre zusammen mit ihrem unverheiratet gebliebenen Sohn Julius sorgenfrei in ihrer Wohnung ganz in der Nähe ihrer Töchter Louise, Ottilie und Cäcilie und deren Familien. Als sie am 9. Januar 1848 im vierundsiebzigsten Lebensjahr starb, fand sie neben Rosalies Grab ihre letzte Ruhestätte. Glücklicherweise blieb ihr erspart, dass Richard durch die Dresdner Polizei „wegen wesentlicher Theilnahme“ am Dresdner Maiaufstand 1849 steckbrieflich gesucht wurde. Die Verfolgung ihres Sohnes hätte ihr das Herz gebrochen.
Adressen in Leipzig
- 1790 – 1793 Pension von Sophia Friederica Hesse im Winklerschen Haus am Brühl (später Lattermanns Hof; heute Höfe am Brühl, Richard-Wagner-Straße).
- 1798 Fleischergasse 163 (heute Neubau Klostergasse 7).
- 1799 Grimmische Gasse 592 (heute Neubau Grimmaische Straße 11).
- 1802 – 1814 Haus zum Roten und Weißen Löwen, Brühl 318 (später 3, 1886 abgebrochen; heute Einkaufscenter Höfe am Brühl).
- Ab Ende 1827 Pichhof (heute Willy-Brandt-Platz, Westhalle Hauptbahnhof).
- Klitschergäßchen 794 (im Bereich der heutigen Dimitroffstraße).
- „Kauz“ 865 (1890 abgebrochen).
- Neue Straße 1092 (später Nordstraße 3).
- 1834 –1848 Salomonstraße 6 (später 16).
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Grabmal auf dem Alten Johannisfriedhof für sie und Richard Wagners Schwester Rosalie, gestiftet 1910 von Rosalie Frey geborene Marbach, Tochter von Rosalie Wagner, und ihrem Ehemann Eduard Frey. Die auf einem Granitsockel befindliche Marmorplatte zeigt eine junge Frau mit den Gesichtszügen von Rosalie Wagner, die von zwei Engeln emporgetragen wird. Unter dem Relief steht ein Sonett von Gotthard Oswald Marbach, das er der verstorbenen Gattin in tiefem Schmerz widmete: Was der Erde entsproß,/ Nahm sie mütterlich auf, Was sich vom Himmel ergoß,/ Schwang sich zum Himmel hinauf!“
- Die Sockelinschrift lautet: „Hier ruhen in Gott Johanna Wagner-Geyer, geb. Berthis, Rosalie Marbach, geb. Wagner, Mutter und Schwester Richard Wagners“
- „Der junge Richard Wagner 1813 bis 1834“. Ausstellung der Kulturstiftung Leipzig in der Alten Nikolaischule zu Leipzig (mit Ausstellungskatalog).
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Carl Friedrich Glasenapp: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern, Bd. 1, Leipzig 1905.
- Familienbriefe von Richard Wagner 1832 – 1874, Berlin 1907.
- Ludwig Avenarius: Avenarianische Chronik. Blätter aus drei Jahrhunderten einer deutschen Bürgerfamilie, Leipzig 1912.
- Walter Lange: Richard Wagner und seine Vaterstadt Leipzig, Leipzig 1921.
- Ders.: Richard Wagners Sippe. Vom Urahn zum Enkel, Leipzig 1942.
- Richard Wagner: Mein Leben. Einzige vollständige Ausgabe, herausgegeben von Martin Gregor-Dellin, Bd. I und II, München 1969.
- Martin Gregor-Dellin: Richard Wagner. Sein Leben Sein Werk Sein Jahrhundert, Berlin 1987.
- Ludwig Heinrich Hussell: Leipzig während der Schreckenstage der Schlacht im Monat Oktober 1813 als Beytrag zur Chronik dieser Stadt, 3. berichtigte und vermehrte Aufl., Leipzig 1814, Reprint Leipzig 1987.
- Ursula Oehme: Richard Wagner und Leipzig, hrsg. vom Richard-Wagner-Verband Leipzig, Berlin 2013.
- Richard Wagner in Mitteldeutschland, herausgegeben im Auftrag der Wagner-Verbände von Ursula Oehme und Thomas Krakow, (Leipzig 2013).
- Ursula Oehme: Die Ruhestätten der Familie Wagner auf dem Alten Johannisfriedhof zu Leipzig, Leipziger Beiträge zur Wagner-Forschung 5, herausgegeben vom Richard-Wagner-Verband Leipzig, Markkleeberg Beucha 2016.
- Stadtarchiv Leipzig, Ratsleichenbuch 1845–1848, S. 564: „12. Januar 1848 gr ½ Eine Frau 72 Jahre alt, Johanne Rosine geb. Pätz, verw. Gewesenen Wagner, H. Louis Geyer, Hofschauspielers in Dresden Witwe, in der Salomonstraße No. 6 st. d. 9. Janr. fr. ¾ 10 U.“. Über dem Geburtsnamen stand ursprünglich „Bertz“. Folgende Anmerkung ist neben dem Eintrag vermerkt: Nebenstehende verstorbene Frau Geyer ist nicht eine geborene „Bertz“, sondern eine geborene „Pätz“. Auf Grund Rathsbeschlusses berichtigt am 20. Juli 1891. Nachr. O. Buhrig Secr.“
Autorin: Ursula Oehme (2023)