Der Gedenkabend begann traditionell mit dem Friedensgebet in der Nikolaikirche. Pfarrer Yassir Eric aus dem Sudan hielt in diesem Jahr die Predigt. Sehr charmant begann er seine Rede mit einer Anekdote: Im Zug wurde er einmal sehr lange von einer älteren Frau gemustert. Schaute er sie an, blickte sie weg, um ihn anschließend jedoch wieder zu beobachten. Nach 20 Minuten fasste sie sich schließlich ein Herz, ging zu ihm und fragte "Sie sind nicht von hier, gell?" - woraus ein herzliches Gespräch entstand. Mit diesem lebensnahen Einstieg schlug Eric den Bogen zu den wohl wichtigsten Grundlagen der Toleranz: miteinander reden, in Beziehung treten, sich austauschen.
Ehrlich und unverblümt belegte er mit seiner Lebensgeschichte, dass auch er dem Pfad des friedlichen Miteinanders nicht von Anfang an gefolgt ist. Es ist die Geschichte eines muslimischen Jugendlichen, der dazu erzogen wurde, Andersdenkende zu verachten und mit Gewalt zu strafen. Als junger Erwachsener vollzieht er einen Geisteswandel, öffnet sich und konvertiert schließlich selbst zum Christentum. Die Folge: Seine Familie verstößt ihn, erklärt ihn sogar für tot. Ein neues Zuhause findet er in Deutschland - und hilft inzwischen als Leiter des Europäischen Instituts für Migration, Integration und Islamthemen anderen dabei, hier anzukommen und sich zu integrieren.
Rede zur Demokratie von Martin Schulz
Der Präsident des Europäischen Parlaments hielt im Anschluss an das Friedensgebet die diesjährige Rede zur Demokratie. Darin mahnte er unter anderem an, dass die Parole "Wir sind das Volk" nicht für "Hetze, Nationalismus und Nabelschau" missbraucht werden dürfe, stand sie 1989 doch "für Öffnung der Grenzen, für Solidarität, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit".
Dass Vorgänge und Strukturen in einer globalisierten, komplexen Welt wie der heutigen oft zu Orientierungslosigkeit in der Bevölkerung führten, sei laut Schulz nur verständlich. Wichtig sei umso mehr die Erinnerung daran, "dass eine starke und mutige Gemeinschaft, in der nicht jeder jede Meinung teilt, aber in der alle unverrückbar an den Prinzipien der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Humanität festhalten, die beste Möglichkeit ist, in unsicheren Zeiten die Zukunft anzugehen und sie erfolgreich zu meistern".
Kerzen und Tanz auf dem Augustusplatz
Auf dem Augustusplatz galt es auch in diesem Jahr wieder, die Erinnerung an den Herbst '89 leuchten zu lassen. Tausende Menschen stellten Kerzen auf und bildeten damit nach und nach die Zahl 89. Auch Martin Schulz, Oberbürgermeister Burkhard Jung und Iris Gleicke (Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer) steuerten jeweils eine Kerze bei, bevor sie auf die Lichtfest-Bühne traten und sich noch einmal für Toleranz und Demokratie sowie gegen Fremdenfeindlichkeit aussprachen.
"1989 ging von Leipzig ein Leuchten aus, das in das ganze Land strahlte", so Iris Gleicke. "Wir sind dafür verantwortlich, die Freiheit zu verteidigen. Auch heute soll wieder ein Leuchten von Leipzig ausgehen, ein weithin sichtbares Zeichen gegen Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit."
Burkhard Jung erinnerte an den Mut der Mitstreiter der Friedlichen Revolution und betonte: "Auch heute brauchen wir diesen Mut. Wir brauchen ihn überall da, wo die Menschenwürde mit Füßen getreten wird. Doch wenn ich auf den gefüllten Platz schaue, dann ist mir nicht bang, dass wir die Herausforderungen, die vor uns liegen, meistern werden."
Zum Abschluss des Lichtfestes präsentierte das Leipziger Ballett zusammen mit Schauspieler Sylvester Groth eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem diesjährigen Motto "Mut - Werte - Veränderung". In einem knapp einstündigen Bühnenprogramm wurden Tanz und Musik kombiniert mit Foto- und Video-Elementen sowie Texten und Zitaten von Kant bis Kennedy.
Weiteres Programm zum Herbst '89
Wer sich auch nach dem 9. Oktober mit der Friedlichen Revolution befassen möchte, erhält in den nächsten Wochen in Leipzig reichlich Gelegenheit: Verschiedene Ausstellungen, Lesungen, Vorträge, Filmvorführungen und vieles mehr beleuchten das Thema.