Ackermann, Anna - Leipziger Frauenporträts
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Rubrik
- Politik
- Frauenbewegung
geboren/ gestorben
29. Juni 1872, Stuhm (Regierungsbezirk Marienwerder/ Westpreußen) - 13. Oktober 1955, Leipzig
Zitat
"Aber die bürgerlichen Frauen in Deutschland sind in ihrer Gesamtheit ein großes schlafendes Heer, sie überlassen einigen Führerinnen und einigen tatkräftigen Frauenvereinen, vor den Wahlen ihre Interessen zu vertreten, sie selbst aber wählen und wollen weiter nicht gestört sein." (Anna Ackermann: Die Frau und ihr Wahlrecht, 1930)
Kurzporträt
Anna Ackermann wurde am 26. Januar 1919 nach der Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts (12. November 1918) zu einer der ersten weiblichen Stadtverordneten in Leipzig gewählt. Vom März 1922 bis zum Januar 1933 wirkte sie als die erste - unbesoldete - Stadträtin auf sozialpolitischem Gebiet.
Herkunftsfamilie
Vater: Königl.-preuß. Regierungs-Hauptkassen-Oberbuchhalter (circa 1832 - 1910, Schleswig);
Mutter: Amalie Moldenhauer, geborene Sawitzki (?-?);
Bruder: Dr. phil. Paul Arthur Max Moldenhauer, Gymnasiallehrer, Katzeburg/Herzogtum Lauenburg (circa 1872 - ?);
Ehemann: Dr. jur. Paul Herrmann Ferdinand Ackermann, königlich-preußischer Landrichter (16.09. 1853, Königsberg - 15.09.1915, Leipzig); aus seiner 1. Ehe (Heirat 15.01.1886 in Königsberg mit Marie Gertrud Janson, geboren am 28.06.1855, Wenskowethen bei Insterburg/ Ostpreußen - †07.07.1895, Memel) stammen folgende vier Kinder: Werner Ackermann, Marineoffizier (28.10.1888, vermisst als Oberleutnant und U-Boot-Kommandant UC-45, 17.9.1917, Nordsee); Amande Emilie Gertrud Ackermann (12.07.1892, Memel - gestorben im I. WK); Paul Bernhard Willy Ackermann, Gymnasiast (29.06.1895, Memel; gefallen als Kriegsfreiwilliger, 03.11.1914, bei Warneton, Frankreich); Paula Ackermann (? - gestorben im I. WK)
2. Ehe: 10.06.1897 in Schleswig mit Ida Helene Anna Moldenhauer. Kinder aus dieser Ehe: Paul Gustav Hellmut Ackermann, Gymnasiast (12.07.1898, Halle/Saale, gefallen als Kriegsfreiwilliger, 30.05. 1918, Loire Ferme, Frankreich); Paul Gustav Felix Ackermann, Diplom Steuersachverständiger, Diplom Kaufmann und Wirtschaftsprüfer (29.07.1900, Halle/Saale - 11.11.1978, Leipzig).
Biografie
Ida Helene Anna Moldenhauer kam am 29. Juni 1872 in der Kleinstadt Stuhm in Westpreußen zur Welt. Ihre Jugendzeit verbrachte sie in der Stadt Schleswig, wohnte im Lollfuß und besuchte die von Julie Bittdorf geleitete Höhere Mädchenschule. Nach erfolgreichem Besuch des Lehrerinnenseminars in Augustenburg auf Alsen kehrte sie an ihre ehemalige Schule als Lehrerin zurück. Durch die Heirat am 10. Juni 1897 in Schleswig mit dem verwitweten Landrichter Dr. Paul Ackermann übernahm sie die Erziehung seiner vier Kinder aus erster Ehe. Durch wiederholten Dienststellenwechsel lebte die Familie in Memel/Ostpreußen und Halle/Saale, wo Anna Ackermann zwei Söhne gebar. Ab Oktober 1909 gehörte Paul Ackermann dem Reichsgericht in Leipzig als Richter, später als Reichsgerichtsrat an. Die Stadt wurde für die Familie der Lebensmittelpunkt.
Bereits im ersten Kriegsjahr am 03.11.1914 fiel der Sohn Willy in Frankreich. Das war ein Auslöser für Anna Ackermann, sich zum Krieg zu positionieren. Während einige Frauen gegen den Krieg und für dessen sofortige Beendigung eintraten, wirkte sie wie die große Mehrheit der Frauen für die volle Kriegsunterstützung. Im "Frauendank 1914" (Bund der dankbaren deutschen Frauen und Mädchen für die invaliden Krieger) baute sie seit dem 23.03.1915 in Leipzig und Umgebung ein Netzwerk mit über 23 Ortsgruppen auf. Mit Hilfe von Amtsträgern in Militär- und Zivilbehörden gelang es ihr, durch Benefizveranstaltungen, "vaterländische Abende" im Kristallpalast, Frauendank-Stempel als Wohlfahrtsmarken, mehrere Kriegsausstellungen sowie einen begehbaren Nachbau eines Schützengrabens in Leipzig 1915 hohe Erlöse zur Fürsorge für Kriegsinvaliden, für den "Ausschuss zur Krüppelfürsorge" zu erreichen. Während der sächsischen Frauendanktagung in Leipzig 1917 sprach sie als erste Frau in der Aula der Universität, des Weiteren war sie Teilnehmerin an zentralen "Krüppelkongressen" in Köln und Berlin. Sie wurde im "Frauendank" zweite Landesvorsitzende, Kreis- und Ortsgruppenvorsitzende in Leipzig. Die Kreishauptmannschaft Leipzig gewann sie zudem als Mitarbeiterin im Verein "Heimatdank", in dessen Kreis- und Landesvorstand sie gewählt wurde. Anna Ackermann setzte sich für Hilfslieferungen und Finanzunterstützung im Rahmen der Städtepartnerschaft Leipzigs mit dem ostpreußischen Hohnstein ein.
Der Weltkrieg forderte einen enormen Tribut von ihrer Familie: drei der vier Söhne fielen an der Front; der Schwiegersohn erlag in Leipzig seinen Verwundungen. Die Töchter Paula und Gertrud, die über ihre Kräfte als Lazarettschwestern gearbeitet hatten, starben ebenfalls. Ihr Mann erlag am 15.09.1915 einem Herzschlag. Anna Ackermann forcierte ihr Engagement für die Kriegsinvaliden, -witwen und -waisen und erhielt im Dezember 1916 das Ehrenkreuz für Kriegswohlfahrtspflege.
Entsprechend ihrer sozialen Herkunft und Politisierung im "Frauendank 1914" wandte sich Anna Ackermann Ende 1918 der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) mit ihrem Wahlslogan: "Wer seine politische Überzeugung nicht bei jedem Sturmesbrausen verleugnet, der trete ein in die Deutsch-Nationale Volkspartei!" zu und zog für diese Partei am 26.01.1919 in die Leipziger Stadtverordnetenversammlung ein als eine von 10 Frauen unterschiedlicher politischer Ausrichtung. Weiteres dazu im Beitrag von Thomas Höpel von 2018 zu Anna Ackermann. Im Bürgerausschuss (ab Ende 1920 Bürgerbund) - unter Ausschluss der "Linken" - übernahm sie den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft "Frauengruppen". Sie war Vorstandsmitglied, kandidierte auf der "wirtschaftspolitischen Gemeinschaftsliste" des Bürgerbundes 1921 und profilierte sich auf dem Gebiet der Sozialfürsorge. Bis 22.03.1922 als Stadtverordnete, danach ab 28.03.1922 bis 27.01.1933 als erste - unbesoldete - Stadträtin arbeitete sie in 18 kommunalen Ausschüssen mit: u.a. im Ausschuss für die Arbeitsanstalt, im Armendirektorium, in den Ausschüssen für Blindenstiftungen, Kirchensachen, Jugendfürsorge sowie für das sozial-pädagogische Frauenseminar (ehemals "Hochschule für Frauen"). Sie war zudem Mitdezernentin für das Johannishospital, das größte Altersheim Deutschlands, und kümmerte sich besonders um dessen Verwaltungsgeschichte, Organisation und Vermögensfragen. Ein Verdienst in diesem Zusammenhang ist, dass sie die Professionalisierung und Entlohnung der Frauenarbeit in den Fürsorge- und Pflegeberufen durchsetzte sowie die Öffnung der städtischen Verwaltung für weibliche Angestellte vorantrieb.
Sie legte besonderen Wert auf die Einbeziehung der bürgerlichen Frauen in die Kommunalpolitik. 1921 war z.B. der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zur allmählichen Schließung (bis 1925) der öffentlich geduldeten Bordelle auf ihr maßgebliches Engagement zurückzuführen. Dabei gelang es in Leipzig, einen massiven Anstieg der Straßenprostitution zu vermeiden und ehemalige Prostituierte in Arbeitsverhältnisse zu vermitteln. Anna Ackermann leistete auch Überzeugungsarbeit für die Errichtung einer städtischen Eheberatungsstelle, die 1928 beim Gesundheitsamt eröffnet wurde.
Als aktive Christin sorgte sie dafür, dass sich zusätzlich eine von Frauen geleitete kirchliche Beratungsstelle den "inneren Ehenöten" widmete. Sie gehörte zu den evangelischen Akteurinnen, die Mitte der zwanziger Jahre spezielle "Lutherabende für Frauen" initiierten, wo Frauen als theologische Laien mit fundierten Kurzreferaten erstmalig auftraten, unterhielt enge Verbindungen zum Deutsch-Evangelischen Frauenbund und war als Stadträtin gern gesehenes Vorstandsmitglied und Referentin in den bürgerlichen Frauenvereinen Leipzigs, so im Leipziger Hausfrauen-Verein e.V. Dieser unterhielt in Zusammenarbeit mit dem zentralen Reichsverband Deutscher Hausfrauenvereine seit 1925 eine von Anna Ackermann mitgeförderte Versuchsstelle für Hauswirtschaft in Leipzig, Dittrichstraße 15. In dieser Institution für Warentests wurden hauswirtschaftliche Geräte und Gebrauchsmittel einer wissenschaftlichen und praktischen Qualitätsprüfung unterzogen.
Kritisch sah sie die mangelnde Beteiligung bürgerlicher Frauenkreise am politischen Leben und brachte dieses in verschiedenen Artikeln zum Ausdruck. "Man pflegt sich der politischen Rechte nur zur Zeit der Wahlen zu erinnern.", stellte sie fest. Dank ihrer Überzeugungsarbeit konnten jedoch seit 1922 Frauen erstmalig als Schöffen gewonnen werden, so dass 1929 165 der 667 Leipziger Laienrichter weiblich waren.
Die Geringschätzung der Leistungen von Frauen in politischen Ämtern führte zum Verlust des Mandates von Anna Ackermann im Stadtrat, was scharfe Proteste der im Stadtbund der Leipziger Frauenvereine vertretenen Frauenorganisationen hervorrief: "Hinter dieser Frau stehen g e s c h l o s s e n die bürgerlichen Frauen Leipzigs." Die "Verkleinerung des Rates" diente als Vorwand, um vollendete Tatsachen gegen Anna Ackermann zu schaffen; der zunehmende NS-Einfluss tat ein Übriges.
Sie zog sich zurück und begab sich auf eine Weltreise, über die sie später Lichtbildervorträge vor allem in Kirchgemeinden hielt. 1933 bis 1935 schrieb sie eine Chronik des Johannishospitals von den Anfängen 1278 bis 1935 als Zuarbeit für den Dezernenten des Rates, 1937 eine kleine Chronik für die Bewohner.
Am 04.12.1943 ausgebombt, kam sie im Heim Marienhöhe, das zum Verbund des Johannishospitals gehörte, unter. Nach 1945 bat sie den Oberbürgermeister Erich Zeigner um dauerhafte Übersiedlung in "ihr" Johannishospital. Um die finanziellen Aufnahmebedingungen erfüllen zu können, bot sie an, ihre Forschungsarbeiten zum Hospital fortzusetzen und ein Archiv einzurichten, da sie keine Witwenpension mehr erhielt und ihre Sparguthaben gesperrt waren. Nach einem Oberschenkelhalsbruch infolge eines Straßenbahnunfalls 1946 brauchte sie ca. ein Jahr für ihre gesundheitliche Wiederherstellung, so dass die geplanten Arbeiten für das Johannishospital nicht umgesetzt werden konnten. Inzwischen zur Bittstellerin degradiert, richtete sie 1948 das Archiv im Johannishospital und 1949 eine Bibliothek für die Krankenstation des Heims ein. Im Juni 1951 "wechselte" sie, die jahrzehntelang Zeit, Arbeitskraft und Herzblut dem Johannishospital gewidmet hatte, in das Altenheim der Inneren Mission in Lützschena bei Leipzig. Sie starb am 13.10.1955 an Lungenentzündung im Leipziger Diakonissenkrankenhaus.
Werke
- Die Frau und ihr Wahlrecht, in: Landeszeitung, Rudolstadt 1930.
- Geschichte des Leipziger Johannishospitals 1278 - Gegenwart, Chronik, Leipzig 1935 (ungedruckt).
- Kurze Verwaltungsgeschichte des Johannishospitales zu Leipzig von der Entstehung bis 1935. Zusammengestellt von Anna Ackermann, Stadträtin von 1922 - 1933, Leipzig 1937.
- Sieben Jahre weibliche Laienrichter in Leipzig, in: Die Frau, Nummer 5, vom Februar 1930, Seite 311.
- verschiedenste kommunalpolitische Artikel in der Leipziger Presse, zum Beispiel:
- Das Johannishospital: Ein Heim der Achtzigjährigen, in: Neue Leipziger Zeitung, vom 25.06.1932;
- Das Leipziger Johannishospital, Deutschlands größtes Altersheim. Ein Lebensabend ohne Sorgen, in: Leipziger Neueste Nachrichten (im folgenden; LNN) vom 25.10.1936;
- Wie um den Kickerlingsberg gewählt wurde, in: LNN vom 27.07.1926;
- Um die Marienhöhe, in: LNN vom 31.07.1929.
Adressen in Leipzig
- 1909 - 1916 Beethovenstraße 29, III;
- 1917 - 1920 Beethovenstraße 19, I;
- 1921 - 1922 Robert-Schumann-Straße 4, pt.;
- 1922 - 1927 Hospitalstraße 19, I (heute: Prager Straße);
- 1928 - 1930 Kochstraße 92, II;
- 1931 - 1933 Eutritzscher Straße 45, pt. (beim Sohn Felix);
- 1934 - 1935 Hohe Straße 17, I;
- 1936 - 1943 Kaiser-Wilhelm-Straße 20 (heute: August-Bebel-Straße). Am 4. Dezember 1943 Wohnung durch Bomben stark beschädigt;
- 1943 - 1947 Heim Marienhöhe (dem Johanneshospital angeschlossen), Kolmstraße 26;
- 1947 - 1951 Johannishospital, Stötteritzer Straße 26, Zimmer 988;
- 1951 - 1955 Feierabendheim der Inneren Mission, Lützschena bei Leipzig, Elsterstraße 3.
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Stadtarchiv Leipzig, Teilnachlass Anna Ackermann 2.4.2.48.
- Stadtarchiv Leipzig, Kapitel 6, Nummer 59, Mitarbeit in der städtischen Verwaltung.
- Stadtarchiv Leipzig, Sterberegisterunterlagen.
- Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Vereine, 705/14 Ortsgruppe Leipzig des Frauendank 1914 (1918/49).
- Standesamtsunterlagen aus Königsberg, Memel, Schleswig und Halle/ Saale.
- Universitätsbibliothek Leipzig, Handschriftenabteilung, Handschriften und Urkunden der Stadtbibliothek Leipzig in der Universitätsbibliothek, Rep. VI 16 az 23/Z428. Anna Ackermann; Kriegsarbeit Leipziger Frauen 1914-18.
- Höhere Schule für Frauenberufe zu Leipzig 1875/1925. Festschrift zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens der Höheren Schule für Frauenberufe zu Leipzig, 10. bis 13. Mai 1875 – 1925, Leipzig 1925.
Autor: Dr. Manfred Leyh, 2018/2023