Bretschneider, Rahel Kunigunde - Leipziger Frauenporträts
Wincklers Haus um 1715 © Stadtgeschichtliches Museum Leipzig Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Bildung/ Pädagogik
- Literatur
geboren/ gestorben
1685 - 1722
Zitat
"(…), so habe die seel. Jungfer auf ihr inständiges Verlangen hin und große Begierde zur hebräischen Sprache, absonderlich aber in der Accentuation eine ziemliche Zeit lang so weit gebracht, dass sie vollkommen die hebräische Sprache lesen und verstehen, ingleichen diese Sprache also reden können, dass auch etliche Rabbiner so die seel. Jungfer aus curiosité gesprochen, sich höchstens darüber verwundert."
(Theologiestudent Eberhard Carl Friedrich Oppenheimer über seine Schülerin Rahel Kunigunde Bretschneider, 1722)
Kurzporträt
Die Kaufmannstochter Rahel Kunigunde Bretschneider erreichte im Zeitalter der Aufklärung, dass sie Unterricht in der hebräischen Sprache erhielt, entwickelte darin große Fertigkeit und besaß eine Bibliothek mit fast 100 Titeln.
Herkunftsfamilie
- Vater: Kaufmann Christian Bretschneider (1641-1686);
- Mutter: Dorothea Bretschneider, geborene Cramer, verwitwet Stephan (1653-1693);
- Geschwister: Maria Gertraut, Johanna Elisabeth, Susanna Dorothea, Christiana Margaretha (verheiratet Schilling), Johann Georg Christian, Justus Christian, Christian Gottlieb.
Biografie
Rahel Kunigunde Bretschneider lebte unverheiratet und kinderlos als Tochter einer Kaufmannsfamilie in Leipzig. Über ihre Kindheit und Jugend ist bisher noch nichts bekannt. Nur eine aussagekräftige Akte ist überliefert, die die Aufstellung ihres Vermögens und ihrer Wertgegenstände nach ihrem Tod enthält. Darüber hinaus finden sich in der Akte aber auch zwei Hinweise auf außergewöhnliche Umstände – dies betrifft einmal den Hebräisch-Unterricht, den die Bretschneiderin auf ihren eigenen Wunsch hin erhielt und einmal ihre umfangreiche Büchersammlung. Beides war für Frauen in der damaligen Zeit und Position nicht üblich. Was den Sprachunterricht betrifft, war ihr Lehrer der Student Eberhard Carl Friedrich Oppenheim (auch Oppenheimer).
Es war zur damaligen Zeit durchaus Usus, dass Studenten als Untermieter in den Leipziger Haushalten lebten und dort gegen Bezahlung die Kinder ihrer Vermieter unterrichteten. Dabei standen aber vor allem die Jungen im Fokus. Die Mädchen wurden bis zu einem gewissen Grad in den Fähigkeiten unterrichtet, die sie später als Ehefrau und Mutter benötigten – das Hebräische gehörte keinesfalls dazu. Es erscheint also bemerkenswert, dass sich die Bretschneiderin ihr Interessengebiet frei wählen und intensiven Unterricht genießen durfte. Der Student Oppenheim sollte eine Entlohnung in Höhe von 200 Talern für seine Mühen erhalten. Üblicherweise bekamen (studentische) Hauslehrer ein Jahresgehalt zwischen 8 und 12 Talern. Es bleibt leider im Dunkeln, wie lange der Unterricht dauerte und wie intensiv er war. Auch ist nicht bekannt, wie die Kontakte zu den "etlichen Rabbinern" aufgebaut worden waren, die mit der Bretschneiderin aus "curiosité" sprachen. Inwieweit der Lehrer Oppenheim möglicherweise hier Gelegenheiten schuf, um die Lernerfolge seiner Schülerin zu präsentieren, bleibt Spekulation. Auch über das zwischenmenschliche Verhältnis von Lehrer und Schülerin ist bisher nichts bekannt.
Das Vermögen, das die Jungfer hinterließ, bezifferte sich auf über 6.100 Taler. Zum Erbe gehörte auch eine Büchersammlung, die 95 Titel umfasste und deren Wert mit 27 Talern angegeben wird. Und damit kommen wir nun zu einer weiteren Besonderheit im Leben der Bretschneiderin – der Bibliothek. Der überwiegende Teil der Bücher kann dem Genre der Erbauungsliteratur zugeordnet werden. Dazu zählen im weitesten Sinne verschiedene Literaturarten, die christlich geprägt sind und die dem Gläubigen Anleitung geben, wie ein tugendhaftes Leben aussehen sollte. Darüber hinaus spenden die Autoren in diesen Schriften Trost und Zuversicht in schweren Zeiten. Die Werke der Erbauungsliteratur begleiteten den gläubigen Christen ein Leben lang, gaben ihm Orientierung und waren für den alltäglichen Gebrauch konzipiert. Außerdem beinhaltete die Bibliothek der Bretschneiderin auch einige Leihgaben des Studenten Oppenheim, die er seiner Schülerin zu ihrem Studium überlassen hatte. Diese forderte er nach ihrem Tod zurück. Über den weiteren Verbleib der Büchersammlung ist nichts bekannt. Im Inventar der 1734 verstorbenen Schwester Maria Gertraut lassen sich vier Bücher nachweisen, die auch Rahel Kunigunde besessen hat. Es könnte also durchaus sein, dass diese Bücher unter den Schwestern vererbt worden waren. Die Büchersammlung von Maria Gertraut ist dabei aber aufgrund ihrer wenigen Titel und dem Gesamtwert von 4 Talern keineswegs mit der ihrer Schwester vergleichbar.
Die Auswertung der Nachlassakte der Bretschneiderin bietet einen einmaligen Einblick in das Leben einer jungen Frau aus der gehobenen bürgerlichen Schicht im Leipzig des 17. und 18. Jahrhunderts. Natürlich existieren bereits einige herausragende Beispiele weiblicher Gelehrsamkeit in Leipzig wie Luise Adelgunde Victorie Gottsched (1713-1762), Ernestine Christine Reiske (1735-1798) oder Christiana Mariana von Ziegler (1695-1760). Die Beschäftigung mit den Nachlassakten lässt vielmehr die Vermutung zu, dass es neben den genannten "großen Frauen" auch eine Reihe von bisher weniger erforschten Beispielen weiblicher Gelehrsamkeit und Bildungsbestrebungen von Frauen in der Messestadt gegeben hat.
Adressen in Leipzig
- Winckler(sch)es Haus in der Heunstraße (heute Hainstraße) laut Nachlassakte, siehe unten
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Stadtarchiv Leipzig, Vormundschaftsstube, Nr. 106, 1722, Rahel Kunigunde Bretschneider.
- Stadtarchiv Leipzig, Vormundschaftsstube, Nr. 594, 1734, Marie Gertraut Bretschneider.
Autorin: Dr. Theresa Schmotz, 2017