Dohmke, Julie (geborene Vogel) - Leipziger Frauenporträts
- © Sigrid Oehler: Julie Dohmke. Als Manuskript gedruckt, Leipzig August 1914 Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Literatur
geboren/ gestorben
24. November 1827 (Krefeld) - 30. August 1913 (Leipzig)
Zitat
"Wer die geistvollen Einleitungen ... gelesen hat und die kritische Methode der Bearbeitung kennt, der wird nie geahnt haben, daß unter 'dem Herausgeber J. Dohmke' eine zarte weibliche Seele verborgen war." (Sigrid Oehler, 1914)
Kurzporträt
Julie Dohmke wurde besonders als Übersetzerin englischer Frauenliteratur und als die erste Frau bekannt, die Schriften von Clemens von Brentano, Novalis und anderen Romantikern wissenschaftlich-kritisch edierte.
Herkunftsfamilie
- Vater: Dr. Johann Carl Christoph Vogel (19.07.1795 Stadtilm - 15.11.1862 Leipzig), bekannter Pädagoge und ab 1832 Reformer des Leipziger Schulwesens; Schuldirektor der 1. Bürgerschule; Ehrenbürger von Leipzig 1857
- Mutter: Amalie, geborene Lang (1802 Berlin - 13.06.1862 Leipzig), Tochter von Dr. Carl Lang (27.10.1766 Heilbronn - 16.05.1822 Wackerbarthsruh/ Radebeul), Lehrer und Besitzer einer Erziehungsanstalt in Tharandt, später in Wackerbarthsruh
- Geschwister: Bis heute wird in der Literatur aufgrund einer falschen Annahme von Franz Brümmer in der Allgemeinen Deutschen Biographie von 1907 ohne Hinterfragung davon ausgegangen, dass nur vier Kinder - statt neun - von Carl Vogel existierten. Zwei der vier Söhne - Otto und Wilhelm - wurden von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen.
- Elise (31.01.1822 Wackerbarthsruh - 15.05.1899 München), verheiratete Polko; Sängerin und erfolgreiche Schriftstellerin insbesondere zu musikbiografischen Themen. Lexikograph Franz Brümmer irrte ebenfalls mit seiner Angabe, dass Elise "im Münchner Haus von Julie" starb. Die dortigen Polizeimelde- und Sterberegisterunterlagen belegen, dass Elise Polko seit dem 01.10.1898 als Mieterin in der Schellingstraße 70, 2. Etage, zusammen mit ihrer Köchin Minna Schleifenbaum wohnte. Julie Dohmke hingegen war nie in München polizeilich gemeldet.
- Zwischen 1832 - 1834 wurden in Leipzig weitere drei Mädchen in der Familie von Dr. Carl Vogel geboren, die im Zeitraum 1834 - 1863 sehr jung verstarben:
- Marie (1832 in Leipzig - 1834 in Leipzig)
- Clara (1833 in Leipzig - ? in Leipzig)
- Natalie (1834 in Leipzig - ? in Leipzig)
- Carl Otto (?- 14.09 1874 Dresden) Kaufmann, Direktor der ersten deutschen Zigarettenfabrik "La Ferme" in Dresden
- Carl Wilhelm (22.10.1825 Krefeld - 17.03.1907 Erfurt), Beamter der Eisenbahn- und allgemeine Rück-Versicherungs-Gesellschaft Thuringia in Erfurt
- Carl Eduard Ludwig (07.03.1829 Krefeld - circa Februar 1856 bei Wara im Tschad, Zentralafrika); Naturwissenschaftler; getötet als Expeditionsleiter
- Carl Hermann (03.04.1841 Leipzig - 13.08.1907 Potsdam), Prof. Dr., international renommierter Astrophysiker; Direktor des Observatoriums zu Potsdam
Biografie
In Krefeld geboren, wurde für Julie Henriette Natalie Dohmke Leipzig zur geliebten Vaterstadt, weil sie hier all ihre Kraft dem geistig-kulturellen Leben widmen konnte. Sie war auch in dieser Hinsicht das "Abbild ihres Vaters" und brillierte ebenso wie er mit "köstlich frischer Heiterkeit".
1832 war der Reformpädagoge Dr. Carl Vogel dem Ruf der Stadt Leipzig nach Übernahme der Direktion der Leipziger Bürgerschule gefolgt. Die Mutter war künstlerisch-kreativ tätig, schuf Radierungen und inspirierte mit ihrer Sopranstimme Töchter und Söhne zum gemeinsamen Musizieren.
Wie die ältere Elise strebte Julie eine Ausbildung als Sängerin an und beabsichtigte, dazu 1849/50 nach Hamburg zu gehen, was ihre Mutter ablehnte. Julie blieb im Elternhaus und pflegte besonders in der langjährigen Ungewissheit über das Schicksal ihres verschollenen Bruders Eduard die Eltern bis zu beider Tod 1862.
Alleinstehend musste sie nun einer Erwerbsarbeit nachgehen. Sie schrieb Novellen und Erzählungen für die "Allgemeine Moden-Zeitung", für "Die Gartenlaube" und andere. Durch die vierjährige Arbeit als Gouvernante bei wohlhabenden Familien in England eignete sie sich die englische Sprache perfekt an. Nach Deutschland zurückgekehrt, gab sie Privatunterricht und begann eine erfolgreiche Übersetzerkarriere aus dem Englischen, unter anderem für den Leipziger Verleger Ludwig Wiedemann. Die anerkannte Qualität ihrer Übertragungen und ihre guten Kontakte zu englischen Autorinnen ermöglichten unentgeltliche Übersetzungsrechte und führten zur Empfehlung durch Leipziger Verleger wie den Freiherrn von Tauchnitz.
In dieser intensiven Phase heiratete die 40-jährige Julie 1868 für viele überraschend den acht Jahre jüngeren Meißner Apothekersohn Dr. phil. Emil Dohmke (25.10.1835 -16.05.1888), der eine eindrucksvolle pädagogische Laufbahn einschlug. Er war Lehrer für Deutsch, klassische Sprachen und Geschichte, Gymnasialprofessor und Konrektor an der Leipziger Nikolaischule, außerdem Mitherausgeber von "Seemann's litterarischem Jahresbericht". Die Ehe blieb kinderlos.
Durch die Pflege ihres zunehmend kränkelnden Mannes wurde ihre schöpferische Arbeit als Autorin und Übersetzerin eingeschränkt. Sie reduzierte die eigene literarische Arbeit auf ein Minimum, um stattdessen Buchbesprechungen für "Seemann's litterarischen Jahresbericht" zu schreiben.
Den Tod ihres Gatten am 16.05.1888 verarbeitete sie durch enge Kontakte zur Nikolaischule. Um seiner Lebensleistung ein "Denkmal" zu setzen, übereignete sie gemeinsam mit ihrer Schwägerin Alma Dohmke seine wissenschaftliche Privatbibliothek unter Auflagen der Nikolaischule als "Dohmke-Stiftung".
In die Trauerzeit fiel die Schaffung der "Stellenvermittlung für geprüfte Lehrerinnen und Erzieherinnen" in Form von Agenturen unter Leitung von Ida Ungern-Sternberg - ein Projekt des 1888 von Rosalie Büttner u.a. gegründeten Leipziger Lehrerinnen-Vereins. Prädestiniert durch private Lehrtätigkeit, ihre Erfahrungen als Pädagogentochter und Professorengattin wirkte Julie neben solch bekannten Schulvorsteherinnen wie Auguste Schmidt in Leipzig als "(An)Sprechstelle: Frau Professor Dohmke, Albertstr. 25". Diese Agenturen lagen damit "nur in den Händen von Lehrerinnen oder mit dem Lehrfach ganz vertraute(r) Damen, die ihre Arbeit ... nicht wie bezahlte Agentinnen im Interesse ihrer Kasse" verrichteten.
Parallel dazu begann Julie ihre Liebe zur deutschen Romantik in den Mittelpunkt ihres Schaffens zu stellen. Sie gilt als erste Frau, die eine wissenschaftlich-kritisch fundierte Edition der Schriften von Clemens von Brentano, Achim von Arnim, Novalis und Friedrich de la Motte Fouqué im Auftrag des Bibliographischen Institutes Leipzig herausgab. Empfohlen hatte sie sich hierfür bereits 1872 durch die völlige Neubearbeitung des väterlichen Werkes "Frauenliebe und Dichterleben" (1842). Darin wies sie nun den bedeutenden Einfluss von Frauenliebe und Frauenleben auf den Lebensgang und die Poesien großer Dichterpersönlichkeiten nach. War in diesem Fall die Herausgeberschaft eindeutig, ahnte die Öffentlichkeit zehn Jahre später jedoch nicht, dass sich unter "J. Dohmke" bei den Romantiker-Ausgaben in der "Meyerschen Klassiker-Reihe" eine Frau verbarg. Im Vorwort jeder Ausgabe begründete sie die Textauswahl, arbeitete mit Anmerkungen, verfasste informative Einleitungen zur Biografie des Autors, zum Werkinhalt sowie ästhetischen Wert desselben.
Im März 1900 zog sie letztmalig innerhalb von Leipzig um, in die Mittelstraße 2, die zum neuen "Wallfahrtsort für Freunde aus nah und fern" wurde. Dort verkehrte das Leipziger "Who is Who?" zu Gesprächen über Geschichte und Persönlichkeiten der Messestadt, wobei Julie dabei gern aus den Werken des Leipziger Mundartdichters Edwin Bormann rezitierte. Über die Bedeutung ihres Refugiums schrieb sie 1905 im Gedicht "Späte Erkenntnis":
"... Der 'goldnen Mittelstraße'
Will fortan ich vertraun,
Dort wird das alte Vöglein
Sein letztes Nestchen baun!"
Julie Dohmke sollte recht behalten. Als letzte der Geschwister Vogel starb sie nach fünfwöchiger Krankheit am 30.08.1913 in ihrem "Nestchen". Ihre Urne wurde in der I. Abteilung des neuen Johannisfriedhofes in der gemeinsamen Grabstätte ihres Vaters und ihres Mannes unter großer Anteilnahme bestattet.
Werke
Als Autorin
- In: Allgemeine Moden-Zeitung:
- 1857 "Eine Erinnerung" (in 3 Fortsetzungen).
- 1859 "Eine Silvester-Nacht"; "Eine Herzensgeschichte"; "Edith".
- 1873 "Prinzeßchen Laune".
- 1875 "Die Ball-Mama"; "Cousine Flora"; "Das Herz vergessen"; "Im ersten Semester".
- In: Die Gartenlaube: 1862 "Clematis vitalba"; "Eine Reiseerinnerung".
- In: Leipziger Sonntagsblätter: 1862 "Bella Donna".
- In: Nieritz' Volkskalender: 1871 "Die Prophezeiung".
- In: Novellen-Zeitung: 1872 "Mit eiserner Hand".
- In: Magazin für Literatur des Auslandes: 1880 "Julia Kavanagh". Biografische Skizze.
- Lebensbilder. Erzählungen für die Jugend (mit F.[ranz] Hoffmann), Leipzig 1886.
Als Herausgeberin
- Frauenliebe und Dichterleben. Ein literarisches Album für die deutsche Frauenwelt. Herausgegeben von Dr. Carl Vogel, 2. Auflage, neu bearbeitet von Julie Dohmke, geborene Vogel, Verlag Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1873.
- Liebesgrüße. Blumen aus dem Garten der Poesie gesammelt von Julie Dohmke, Verlag Friedrich Brandstetter, Leipzig 1882.
- Arnims Werke. Herausgegeben von J. Dohmke. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, ohne Jahr [1892].
- Brentanos Werke. Herausgegeben von J. Dohmke. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe, Bibliographische Institut Leipzig und Wien, ohne Jahr [1892].
- Novalis' Werke/ Friedrich de La Motte Fouqué: "Undine". Herausgegeben von J. Dohmke. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, ohne Jahr[1892].
- Tobias Gottfried Schröer: Ch.[ristian] Oesers Briefe an eine Jungfrau über die Hauptgegenstände der Ästhetik. Ein Weihegeschenk für Frauen und Jungfrauen, 25. Auflage herausgegeben und neu bearbeitet von Julie Dohmke, Verlag Friedrich Brandstetter, Leipzig 1892.
Als Übersetzerin
- Margaret Oliphant: Agnes. Roman. Aus dem Englischen von Julie Vogel, Verlag Otto Janke, Berlin 1867 (3 Bände).
- Dieselbe: Innocenzia. Roman aus dem modernen Leben. Aus dem Englischen von Julie Dohmke, Verlag Ernst Julius Günther, Leipzig ohne Jahr [1875] (4 Bände).
- Rhoda Broughton: Esther (Red as a rose is she). Roman. Aus dem Englischen von Julie Dohmke, 3 Bände., Verlag E. J. Günther, Leipzig 1875.
- Dieselbe: Wie eine Blume erblüht (Cometh up as a flower). Roman. Aus dem Englischen von Julie Dohmke, 3 Bände, Leipzig 1877.
Adressen in Leipzig
- 1832-1863: In der 1. Bürgerschule (Dienstwohnung des Vaters)
- 1867-1868: An der Pleiße 6, 2. Etage
- 1869-1872: Elsterstraße 35, 2. Etage
- 1873-1876: Lindenstraße 10
- 1877-1878: Windmühlenstr. 26, Parterre
- 1879-1888: Roßstraße 9, 2. Etage (durch Umnummerierung 1885: Roßstraße 14; heute Auguste-Schmidt-Straße)
- 1889-1894: Albertstraße 25 b, 1. Etage
- 1895-1900: Königstraße 19, 1. Etage
- 1900-1913: Mittelstraße 2, 2. Etage
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- "Dohmke-Stiftung" zugunsten der Nikolaischule Leipzig 1888, aufgeführt in: Stiftungsbuch der Stadt Leipzig im Auftrag des Rates auf Grund der Urkunden und Akten des Ratsarchivs verfasst von Dr. H. Geffcken und Dr. H. Tykocinski, Leipzig, 1905, Seite 627 (als "Nummer 892. Dohmke, Julie"). 1913 erfolgte die Erweiterung der Stiftung, deren Verbleib bisher ungeklärt ist. Möglicherweise verbrannte der Stiftungsbestand beim Bombenangriff am 04.12.1943.
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
Quellen:
- Stadtarchiv Leipzig:
- Kapitel 35, Nummer 227 Acta, Leipziger Lehrerinnen-Verein betr. 1889.
- Kapitel 10, Nummer 107 Acta, die Dohmke-Stiftung für die Nikolaischule betr. 1888 -1913.
- Stadtarchiv München:
- Polizeimeldebogen von Elise Polko: Signatur PMB 326.
- Sterberegistereintrag von Elise Polko: Standesamt München I, Nummer 3115/1899.
- Museum für Geschichte der Stadt Leipzig: Briefe von Julie Dohmke an Ludwig Wiedemann, Albertine Zehme, Ernst Julius Günther.
- Universitätsbibliothek Leipzig, Handschriftenabteilung: Briefe von Julie Dohmke an Hermann Rost, Otto Kaemmel, Edwin Bormann.
- Illustrirte Zeitung: Nummer 594 vom 18.11.1854, Seite 324-326 [über Forschungsreisende unter anderem Eduard Vogel].
- Die Lehrerin [ungez. Beitrag], in: Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit. Herausgeberin Helene Lange, 1. Jahrgang, Nummer 6, März 1894, Seite 411-413.
- Leipziger Tageblatt: 14.06. - 17.06.1862; 16.11. - 19.11.1862; 19.05. - 22.05.1888; 31.08. - 05.09.1913.
- Jahresberichte des Nikolai-Gymnasiums Leipzig 1888 - 1915.Notizen und Briefe über und von Dr. Carl Vogel, vormals Director der Bürger- und Realschule zu Leipzig. Ein Lebensbild. Von seiner Tochter Elise Polko geborene Vogel. Nebst photographischen Titelbild. Zweite Auflage. Leipzig Verlag von Bernhard Schlicke. 1863. [Darin Hinweise auf die drei bisher unbekannten Töchter, s.o. M.L., Herkunftsfamilie/ Geschwister]
- Sigrid Oehler: Julie Dohmke, geborene Vogel. Eine Meisterin der Lebensfreude. Biographische Skizze für ihre Freunde. Als Manuskript gedruckt, Leipzig August 1914.
Autor: Dr. Manfred Leyh (2020)