Grimpe, Christiane Caroline geborene Schrey, genannt "Mutter Grimpe" - Leipziger Frauenporträts
Der Leipziger. Illustrirte Wochenschrift. 3. Jg., Nr. 21 vom 23.05.1908 Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Soziales
- Wirtschaft
geboren/ gestorben
18. Oktober 1815 (Rochlitz) – 19. Februar 1890 (Leipzig)
Zitat
„Die Mutter Grimpe … wurde von der halben Stadt so genannt und mit Recht. Denn eine Mutter war sie nicht nur ihrem Hause und ihrer Familie … sondern auch ihrer Gäste … und vor Allem auch der zahlreichen Armen, die sie täglich in ihrem Hause speiste und denen sie wohl auch sonst im Stillen Gutes that.“ (Nachruf im Leipziger Tageblatt, 26.02.1890)
Kurzporträt
Caroline Schrey -„Mutter Grimpe“-, hervorragende Köchin und identitätsstiftende Wirtin im Leipziger „Thüringer Hof“ 1858-1890, richtete eine Armenspeisung mit täglich 50-100 kostenlosen Essensportionen ein. Sie erfuhr als erste Leipzigerin ohne künstlerisch-bildungskulturellen, kirchlichkaritativen oder frauenpolitischen Hintergrund eine breite Würdigung in der Öffentlichkeit.
Herkunftsfamilie
- Vater: Gottlob Friedrich Schrey, Seilermeister in Rochlitz, 2. Sohn des Zeug-, Lein- und Wollewebermeisters Christian Friedrich Schrey aus Borna.
- Mutter: Mariana Juliana Müller, 4. Tochter des Christian Heinrich Müller, Obermeister der Tischlerinnung in Rochlitz.
- Geschwister: unbekannt.
Eigene Kinder:
- Caroline Marie (1843 Leipzig-?); seit 1866 Frau des Freiberger Bürgerschullehrers und Domorganisten Wilhelm Helbig; ihre Tochter: Klara Röthig (19.03.1867-18.04.1935).
- Christiane Helene (1844 Leipzig-?); heiratete am 29.05.1871 den Assessor und späteren Amtsgerichtsrat Hermann Arthur Brachmann (? - 23.11.1893 in Leipzig); Ritter des Königl. Sächs. Albrechtsordens I. Cl.
- Friedrich Max (11.02.1847 Leipzig – 12.02.1877 Leipzig); 05.06.1876 Heirat mit Marie Trümpler; Gastwirt im „Thüringer Hof“.
- Margarethe Auguste (31.05.1851 Leipzig -?); heiratete am 28.05.1890 den Privatmann Friedrich Köber.
- Johann Georg (29.03.1853 Leipzig – 07.11.1927 Leipzig); Schankwirt, Leipziger Bürger, Übernahme der Gaststätte „Thüringer Hof“ am 14.04.1877; heiratete Hedwig Werner (1858-1935) und hatte mit ihr vier Töchter und einen Sohn (Georg Grimpe jun., Prof. für Zoologie an der Leipziger Universität).
- Johannes Carl (22.04.1846 Leipzig – 24.04.1901 Elsterberg im Vogtland); Inhaber einer Flaschenbierhandlung und eines Kutschenbiergeschäfts; zur Genesung in Elsterberg.
Biografie
Christiane Caroline Schrey entstammte einer seit 1412 urkundlich nachweisbaren wohlhabenden Handwerkerfamilie, die in Rochlitz, Borna und Umgebung Bürgermeister und Ratsherren hervorgebracht hatte. Sie heiratete den ebenfalls evangelisch-lutherischen, aus Gohlis bei Leipzig
stammenden Johann Friedrich August Grimpe (02.09.1818 – 15.01.1871), der als Markthelfer tätig war, und brachte zwischen 1843 und 1856 sechs Kinder zur Welt.
Im Februar 1858 kauften die Grimpes von der Wirtswitwe des Friedrich Pietzsch die Gastwirtschaft „Thüringer Hof“ in der Burgstraße 20. Carolines Ehemann bekam am 30.04.1858 das Bürgerrecht und mit dem Nachweis von 600 Thalern „eigentümlicher Barschaft“ dann am 21.05.1858 vom Rat der
Stadt Leipzig die sogenannte „Schankkonzession zur Betreibung bürgerlicher Nahrung“. In seinem Konzessionsgesuch versicherte er, „der Stadt ein nützlicher Bürger zu werden“ und seiner Familie „eine achtbare Zukunft zu sichern“.
Caroline Grimpe wuchs neben Familienhaushalt und Kindererziehung in die Rolle der voll mitarbeitenden Unternehmergattin, Küchenchefin und Wirtin hinein und wurde sehr bald von ihren Gästen liebevoll „Mutter Grimpe“ genannt. Innerhalb weniger Jahre gelang es durch ideenreiches, geschicktes Wirtschaften, dass sich das meist männliche Publikum im „Thüringer Hof“ sehr wohlfühlte. Mutter Grimpes legendäre Kochkunst, ihr freundliches, gütiges und schlichtes Wesen und ihr kommunikativer, humorvoller Umgang waren die Basis für den Erfolg. Nicht zuletzt half sie in den 1860er Jahren unter ihrem Namen Frauen als Pflegerinnen, Köchinnen und Ammen über das Leipziger Tageblatt seriös zu vermitteln. Sie verstand es zudem, Konfliktsituationen geschickt zu lösen, was zahlreiche Anekdoten belegen.
Nach dem Tod ihres Mannes 1871 trug sie als Hausbesitzerin, seit 07.08.1871 im Besitz des Bürgerrechts, die Hauptverantwortung für den Gasthof, während als Wirt der älteste Sohn Friedrich Max fungierte, der aber schon 1877 nach schwerer Krankheit starb. Nun übernahm der zweite Sohn
Johann Georg am 14.04.1877 den Gasthof und erwarb am 23.06.1880 das Leipziger Bürgerrecht.
Seine Eltern hatten ihm durch Besuch der Brauhochschule in Weihenstephan sowie Aufenthalte in Belgien, Frankreich, Italien und Österreich eine ausgezeichnete Ausbildung ermöglicht. Dank der Kreativität und Investitionsbereitschaft von Mutter Grimpe und Sohn Georg wurde der „Thüringer Hof“ zur „volkstümlichste(n) und beliebteste(n) aller Gastwirtschaften Leipzigs“, der einen Vergleich mit dem Münchner Hofbräuhaus nicht zu scheuen brauchte. Früh-, Mittag-, Dämmer- und Abendschoppen prägten den Tagesablauf im Gasthof. Die anwachsenden studentischen Burschenschaften und die Zusammenkünfte unterschiedlichster Gesellschaften, Clubs, Künstlergruppen, Militärvereine, Beerdigungs- und Krankenkassen sowie des renommierten
„Verein(s) zur Geschichte Leipzigs“, dem Georg Grimpe angehörte, demonstrierten langfristige Bindungen. Obwohl seit 1879 sechs verschiedene Restaurants unter dem Dach des „Thüringer Hofes“ vereint waren, machte der steigende Gästeandrang 1888/89 den Kauf der Burgstraße 19 und des
Pflugkschen „Freihauses“ notwendig. Die „Schanklocalitäten“ wurden seit 1877 architektonisch und künstlerisch durch Bauräte wie Lipsius und Mothes, den Architekten Franz, die Maler Prof. Clasen, Sundblad, Krötzsch, Bey, den Glasmaler Schulze und später den Bildhauer Lehnert gestaltet.
Besonders erwähnenswert ist die jahrzehntelange Armenspeisung im „Thüringer Hof“ durch „Mutter Grimpe“ — Ausdruck für ihr überdurchschnittliches soziales Denken. Jeden Mittag gegen 14 Uhr begann sie selbst mit der Austeilung des Essens, das im Unterschied zur städtischen Speiseanstalt und dem „Mittagstisch für Kostgängerinnen“ des Frauenbildungsvereins (seit 1876) kostenlos war. Vor allem Gemüse- und Speisereste, dazu verwertbare Reste von den Gästetellern wurden zu schmackhafter „derberer Kost“ verarbeitet, welche täglich 50 bis 100 meist ältere Männer und Kinder (von den Müttern mit Töpfen und Konservenbüchsen aus Scham vorgeschickt) dankbar annahmen. Der Leipziger Künstler Bruno Héroux hielt dies in seiner Radierung „Armenspeisung im Thüringer Hof zu Leipzig“, geschaffen für das 50-jährige Hausjubiläum (20.05.1908), fest.
Als Mutter Grimpe 1890 starb, wurde die kostenlose Armenspeisung als Vermächtnis von ihrem Sohn bis 1911 fortgeführt.
Der Nachruf auf Mutter Grimpe im Leipziger Tageblatt würdigte sie „als seltene Erscheinung“, der „alles Streben nach Ehre und Anerkennung fremd“ war und betonte: „Ein lautredendes Zeugnis aber für die Liebe und Achtung, die sie in den weitesten Kreisen genoß, war die großartige Teilnahme von
Hoch und Niedrig bei ihrem Begräbnis.“ Die Trauerfeier fand im „Thüringer Hof“ statt. Mutter Grimpe wurde auf dem Neuen Johannisfriedhof bestattet.
Georg Grimpe ließ vom befreundeten Bildhauer Adolf Lehnert ein leider verloren gegangenes steinernes Reliefbild seiner Mutter als ehrenvolle Würdigung modellieren und an ihrer Wirkungsstätte anbringen. Er stiftete außerdem als Andenken an seine in Rochlitz geborene Mutter 1894 dem Rochlitzer Geschichtsverein eine von ihm erworbene historisch wertvolle hölzerne Madonnenfigur „Rochlitzer Marie“ aus dem 15. Jahrhundert, die aus der Rochlitzer Kunigundenkirche stammte.
Werke
- Jahrzehntelange Armenspeisung im „Thüringer Hof“ mit täglich 50 bis 100 kostenlos ausgegebenen Essensportionen für Bedürftige.
Adressen in Leipzig
- ? - 1858 Brühl 82 (über dem Gasthof „Grüne Tanne“)
- 1858 - 1890 Burgstraße 20 (1885 umnummeriert in Nummer 21)
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Das von Bildhauer Adolf Lehnert gestaltete steinerne Reliefbild „Mutter Grimpe“ im „Thüringer Hof“ ging verloren.
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
Leipziger Stadtarchiv:
- Polizeimeldebücher.
- Standesamtsakten (Sterberegister 1890).
- Amt für Kriegsschäden Nr. 819. (Schreiben des „Thüringer Hofes“ an das Amt für Kriegsschäden vom 18. 01.1944).
Kirchenbuch der ev.-lutherischen Gemeinde Rochlitz-Wechselburg:
- Traubuchauszug St. Kunigunden, Jahrgang 1812, S. 357, lfd. Nr. 33.
- Taufbuchauszug St. Kunigunden, Jahrgang 1815, S. 249, lfd. Nr. 85.
- Als Geburtstag wird hier Mittwoch, der 18.10. früh um 0 Uhr und als Tauftag Freitag, der 20.10.1815 ausgewiesen. Im Unterschied dazu wird in den Leipziger Polizeimeldebüchern bei Christiane Caroline Grimpe (Grimpin), geborene Schrey als Geburtstag der 20.10.1815 (also der Tauftag) fälschlicherweise angegeben.
Beiträge in Leipziger Tageszeitungen (Auswahl):
Leipziger Tageblatt
- Der Thüringer Hof. In: Nummer 306 vom 02.11.1879, Seite 6220. Nachruf. In: Nummer 56 vom 25.02.1890, Seite1274. (ebenfalls in: Leipziger Neueste Nachrichten vom 25.02.1890).
- Mutter Grimpe. In: Nummer 57 vom 26.02.1890, Seite 1294.
- Nummer 653 vom 23.12.1893, Seite 9224 „Zur Feier des 26. Stiftungsfestes…“ darin die Provenienz der sog. „Rochlitzer Marie“ betr. Diese befindet sich heute durch die Schenkung von Georg Grimpe (an den 1893 vom Lehrer Prof. Clemens Pfau gegründeten Geschichtsverein) als Ausstellungsstück im Rochlitzer Schloss unter der Bezeichnung „Heilige Maria mit dem Christuskind aus dem Altar der Kunigundenkirche Rochlitz, fragmentarisch ohne das Christuskind“, Sammlung Schloss Rochlitz, 15. Jahrhundert.
- Anekdotenbeispiel: Vater Grimpe und die erste preußische Einquartierung in Leipzig. In: Nummer 576 vom 25.11.1895, Seite 19.
- Jubiläum im Thüringer Hof: In: Nummer 140 (21.05.1908) und Nummer141 (22.05.1908).
- Informationen zur Familie Grimpe: 29.11.1858; 29.10.1859; 17.10.1860; 17.07.1863; 18.11.1866; 01.07.1870; Nummer 17 vom 17.01.1871; Nummer 25 vom 25.01.1871; Nummer 249 vom 06.09.1871; Nummer 45 vom 14.02.1877; Nummer 333 vom 29.11.1877; Nummer 181 vom 30.06.1878; Nummer 58 vom 27.02.1879; Nummer 601 vom 24.11.1893; Nummer 653 vom 23.12.1893; Nummer 302 vom 15.06.1894; Nummer 210 vom 26.04.1901; Nummer 141 vom 22.05.1908.
Weitere Quellen und Literatur:
- Jubiläumsmappe „Thüringer Hof Leipzig 1858 – 1908“; Druck: Giesecke & Devrient, Leipzig 1908.
- Müller, Carl: Ein Ehrentag für Mutter Grimpe. In: Der Leipziger. Illustrirte Wochenschrift, 3. Jg. Nr. 21, vom 23.05.1908, S. 590.
- Wustmann, Gustav: „Armenspeisung im Thüringer Hof“. In: Leipziger Kalender 1911, Seite 287-292.
- Kleemann, Stefan: „Mutter Grimpe sorgte sich ums Überleben der Armen“. In: Leipziger Volkszeitung vom 14.07.1994.
- Schötz, Susanne: Herr Wirt und Frau Wirtin. Kleinbürgerliche Lebenswege in Leipzig 1830-1870. In: Leipziger Kalender 1995, Seite 85-101.
- Paul, Alfred E. Otto: Die Kunst im Stillen. Nr. 2, Leipzig 2010, S. 64-67 (vorwiegend zur Grabmalstele Georg Grimpes. Erwähnt wird, dass bereits 1860 in der III. Abteilung des Neuen Johannisfriedhofs ein „Erbbegräbnis Nr. 71“ erworben worden war, 1892 die Nachbarbegräbnisstätte Nummer 70 dazugekauft und dann nach Plänen von Hugo Licht eine der beeindruckendsten Grabanlagen dieses Friedhofs gestaltet wurde. Nur die Stele Georg Grimpes wurde erhalten).
Autor: Dr. Manfred Leyh, 2022/2023