Starke, Helene Anna Christiane (geborene Lehmann) - Leipziger Frauenporträts
Helene Starke im Alter von 70 Jahren © Privatbesitz Hannelore Reintsch Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Zivilcourage
- Widerstand gegen NS
geboren/ gestorben
25. April 1896 (Leipzig) - 23. März 1969 (Leipzig)
Zitat
"Nicht wiederum Elend schaffen, sondern aufbauen, Zufriedenheit erstreben."
(aus einer Selbstbeschreibung)
Kurzporträt
Die Hausfrau Helene Starke distanzierte sich in der NS-Zeit vom Regime und unterstützte Juden bis hin zum Versuch, einen jüdischen Bekannten vor der Deportation zu retten.
Herkunftsfamilie
- Vater: Emil Lehmann (1865-1930), Gasmeister
- Mutter: Henriette Anna, geboren Reichard (1869-1903), Hausfrau
- Geschwister:
- Ernst (1894-1956)
- Willy (1899-1900)
- Anna (1901-1918)
Biografie
Helene Lehmann wurde am 25. April 1896 in Leipzig geboren. Der Vater wechselte 1904 als Arbeiter zum städtischen Gaswerk, stieg zum Feuermeister auf und war zuletzt Gasmeister. Helene Lehmann hatte drei Geschwister, sie war die Zweitälteste. Die Eltern tauften die Kinder im evangelisch-lutherischen Glauben. 33-jährig starb die Mutter an Tuberkulose. Eine Schwester der Verstorbenen kam helfend in die Familie. Nach einiger Zeit heiratete Emil Lehmann wieder.
Helene Lehmann besuchte die Volksschule. Nach Abschluss der achten Klasse erhielt sie im April 1910 im Alter von dreizehn Jahren eine Anstellung als Stubenmädchen im Frauenverein Marthahaus, Löhrstraße 9, einem Schwesternheim des evangelischen Diakonissenvereins, wo sie bis März 1912 arbeitete. Am 9. April 1911 feierte sie ihre Konfirmation in der Heilig-Kreuz-Kirche. Im Mai 1912 wurde sie Stubenmädchen bei einem Handelsrichter in Gautzsch (heute Markkleeberg), verließ diese Familie aber schon nach sechs Wochen. Ihre Arbeitgeber für die nächsten acht Jahre waren die Geschwister Richter, Mitinhaber der Firma Reisig & Richter. Nach dem Tod eines der Geschwister wurde der Haushalt 1920 aufgelöst. Helene Lehmann orientierte sich beruflich neu, absolvierte einen Berufskurs als Weißnäherin; und sie wohnte wieder bei ihren Eltern, Pögnerstraße 7. Im Juli 1924 bekam sie eine Anstellung in der Fabrik Nebel & Kaufmann. Im Oktober 1925 wechselte sie als Plätterin zur Firma Ch. Menasche. Nach nur drei Monaten wurde ihr wegen geringer Auftragslage gekündigt. Sie war fast ein Jahr arbeitslos, als sie eine Stelle als Plätterin in der Wäschefabrik Ludwig Wolf bekam.
In der Nachbarschaft der Eltern begegnete ihr Alfred Starke. Der dreizehn Jahre ältere, verwitwete Mann mit einer 1913 geborenen Tochter wohnte in der Pögnerstraße 6. Seit 1921 arbeitete er in der Expedition des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler und war für die Auslieferung des Börsenblattes zuständig. Starke gehörte in seiner Lebensführung zu einer kleinen gesellschaftlichen Minderheit. Er war Vegetarier, Nichtraucher, trank keinen Alkohol, begeisterte sich für ökologische Landwirtschaft und Naturheilkunde, andere Länder und Kulturen. Am 24. März 1928 heirateten sie. Helene Starke wurde Hausfrau. Am 2. September 1929 wurde die Tochter Hannelore geboren.
Den Machtantritt der Nationalsozialisten beurteilten Helene Starke und ihr Mann kritisch und akzeptierten im Gegensatz zur Bevölkerungsmehrheit die neue Politik nicht. Die NSDAP sahen sie als eine "Elend schaffende Partei" an. Sie blieben unangepasst, verkehrten weiter mit den jüdischen Familien Spur und Rubin, als persönliche Kontakte zu Juden unerwünscht und schließlich verboten waren. Zu staatlichen Ereignissen wehte nie eine Staatsflagge aus ihrer Wohnung. Das Ehepaar spendete nicht bei den Sammlungen der Nationalsozialisten. Für ihr Handeln nahmen sie persönliche Nachteile in Kauf. Ende 1935 erhielt Alfred Starke vom Börsenverein die Kündigung, "weil er den Gedanken der Betriebsgemeinschaft ablehnte". Die finanzielle Situation für die Familie wurde immer schwieriger. Helene Starke folgte aber nicht dem Werben der Nationalsozialisten für eine Berufstätigkeit der deutschen Frauen. Sie nähte die Kleidung der Familie. Das Ehepaar besaß einen großen Garten in Machern bei Leipzig. Für den eigenen Bedarf wurde Obst und Gemüse angebaut, einiges auch verkauft.
Auf die Verschärfung der Judenverfolgung reagierte das nichtjüdische Ehepaar mit mehr Zuwendung für die jüdischen Bekannten: Nach dem Erlass der "Nürnberger Gesetze" 1935 entstanden Freundschaften; nach Beginn des Zweiten Weltkrieges und dem Verkaufsverbot bestimmter Lebensmittel sowie der minimalen Versorgung mit Brennstoffen für Juden wurden der verwitwete Abo Spur und andere in einem der "Judenhäuser" von ihnen zusätzlich versorgt. Nachdem im September 1941 das Tragen eines "Judensterns" angeordnet worden war, konnte Spur nur noch heimlich die Wohnung des Ehepaars aufsuchen. Mit jedem Besuch wuchs die Gefahr, denunziert zu werden. Als im Januar 1942 der erste "Judentransport" Leipzig verließ, versteckte das Ehepaar Starke Abo Spur mehrere Monate in ihrem Gartengrundstück. Da die Gefahr der Entdeckung zu groß wurde, kehrte Spur nach Leipzig zurück; sein Verschwinden war der Gestapo noch nicht bekannt geworden. Am 14. Februar 1943 war er das letzte Mal in der Wohnung der Freunde. Drei Tage später wurde er nach Berlin gebracht und von dort nach Theresienstadt deportiert, wohin das Ehepaar Starke Lebensmittel-Päckchen sandte. Beim Luftangriff am 6. April 1945 wurde ihre Wohnung in der Pögnerstraße 6 zerstört.
Am 6. Juni 1952 starb Alfred Starke. Da Helene Starke zunächst keine Rente erhielt, arbeitete sie während der Messen bei der Reinigung der Messehäuser.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Kontakt zwischen dem Ehepaar Starke und der in die USA emigrierten Familie Rubin wieder zustande gekommen. Es folgten Besuche aus den USA in Leipzig.
Am 23. März 1969 starb Helene Starke. Das Grab auf dem kirchlichen Friedhof in Schönefeld existiert nicht mehr.
Adressen in Leipzig
- 1904-1908 Hildegardstraße 32
- 1909-1911 Ludwigstraße 47
- 1912-1910, 1921 bis 1928 Pögnerstraße 7
- 1928 - 6. April 1945: Pögnerstraße 6
- April 1945 - 1949: Ploßstraße 15 (zur Untermiete)
- 1949-1969: Schmidt-Rühl-Straße 19
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig (II), Nummer 3518.
Autor: Steffen Held, 2016