Wagner, Johanna Rosalia (Rosalie), verheiratete Marbach - Leipziger Frauenporträts
Rosalie Wagner (1803–1837), Ölgemälde von Gottfried Lebrecht Kühne, 1826 © Stadtgeschichtliches Museum Leipzig Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Tanz/ Theater
geboren/ gestorben
04. März 1803 (Leipzig) – 12. Oktober 1837 (Leipzig)
Zitat
„Die meisten Schauspielerinnen schrauben den Wahnsinn zum Pathos, zur Unnatur hinauf, … Demoiselle Wagner sprach ihn mit derselben Stimme, mit der sie kurz zuvor ihre Liebesgedanken gesprochen; dieser grauenhafte Gegensatz brachte die größte Wirkung hervor. …“
(Heinrich Laube im „Leipziger Tageblatt“ vom 15. November 1832 über Rosalie Wagners Darstellung des Gretchens in Goethes „Faust“ am Leipziger Theater)
Kurzporträt
Richard Wagners Lieblingsschwester Rosalie war eine gefeierte Schauspielerin. Nach Engagements in Prag, Hamburg, Darmstadt und Kassel, wechselte sie 1829 als jugendliche Liebhaberin an das Leipziger Theater und war auch hier bis zu ihrem Abschied von der Bühne 1836 überaus erfolgreich. Zudem begleitete sie sehr engagiert die Komponisten-Karriere ihres Bruders Richard.
Herkunftsfamilie
- Vater: Carl Friedrich Wilhelm Wagner, 18.06.1770 (Leipzig) – 23.11.1813 (Leipzig), Actuarius am Stadtgericht Leipzig.
- Mutter: Johanne Rosine Pätz,19.09.1774 (Weißenfels) – 09.01.1848 (Leipzig), Heirat am 02.06.1798.
- Geschwister: Carl Albert (02.03.1799–31.10.1874), Carl Julius (21.07.1804–29.03.1862), Louise Constanze (14.12.1805–03.01.1872), Clara Wilhelmina (29.11.1807–17.03.1875), Maria Theresia (01.04.1809–21.01.1814), Wilhelmine Ottilie (04.03.1811–17.03.1883), Wilhelm Richard (22.05.1813–13.02.1883), Halbschwester Augusta Cäcilie (26.02.1815–14.05.1893).
Biografie
Als am 2. August 1829 das Komödienhaus auf der Rannischen Bastei als Königlich Sächsisches Hoftheater zu Leipzig wiedereröffnet wurde, trat Rosalie Wagner die Nachfolge ihrer Schwester Louise als erste Liebhaberin an. Im Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth wird eine Art Tagebuch Rosalies aufbewahrt, in dem auf einhundertsechsundachtzig Seiten sämtliche Aufführungen ihrer Leipziger Zeit und ihre Rollen von August 1829 bis September 1836 verzeichnet sind. Dabei erstaunen nicht nur die Vielgestaltigkeit ihres Repertoires, sondern ihre insgesamt vierhundertfünfundachtzig Auftritte.
Seit ihrem Engagement am Leipziger Theater hatte ihr Bruder Richard jederzeit leichten Eintritt zu den Aufführungen, wovon er ausgiebig Gebrauch machte. Rosalie stellte sich dem Publikum in der Eröffnungsvorstellung „Julius Cäsar“ von William Shakespeare mit dem Prolog von Theodor Hell vor. In „König Lear“ gab sie die Kordelia, im „Kaufmann von Venedig“ die Porzia, in „Hamlet“ die Ophelia, in „Othello“ die Desdemona. Bereits am 7. August gefiel sie als Louise in Friedrich Schillers Trauerspiel „Kabale und Liebe“. Weitere anspruchsvolle Rollen in Schillers Dramen folgten, so die Amalia in den „Räubern“, Bertha von Bruneck in „Wilhelm Tell“, Thekla in „Wallensteins Tod“, Elisabeth von Valois in „Don Carlos“, Leonore in „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“, Agnes Sorel in „Die Jungfrau von Orleans“ und Beatrice in der „Braut von Messina“. Die Zuneigung des Publikums gewann sie endgültig mit ihrer außergewöhnlichen Darstellung der Margarethe in Johann Wolfgang von Goethes „Faust“ in der Bühnenfassung Ludwig Tiecks am 28. August 1829 zum achtzigsten Geburtstag des Dichters, der viele Wiederholungen folgten.
Den stärksten Eindruck hinterließ Rosalie am 28. September 1829 als Fenella in der Großen heroisch-romantischen Oper „Die Stumme von Portici“ von Daniel François Esprit Auber. Sie spielte das neapolitanische Fischermädchen im Geist der Revolutionszeit als leidenschaftlichen, aktiven Charakter, was das Publikum mit stürmischem Beifall honorierte. Zuvor hatte sie am 11. August schon eine andere stumme Rolle mit Leben erfüllt, die der Yelva in dem gleichnamigen Stück von Eugène Scribe. Am 4. Oktober stand sie als Kunigunde in Franz Grillparzers Trauerspiel „König Ottokars Glück und Ende“ auf der Bühne. Mit der Titelpartie in Heinrich von Kleists „Käthchen von Heilbronn“ setzte sie am 1. November ihre Erfolgsserie fort. In Gotthold Ephraim Lessings „Minna von Barnhelm“ oder „Emilia Galotti“ verkörperte sie ebenso wie in Goethes „Egmont“ mit Bühnenmusik Ludwig van Beethovens die weibliche Hauptrolle. Daneben spielte Rosalie in zahlreichen Lustspielen und Possen, die die Theaterkasse füllten, wie „Der Essighändler“, „Die Reise auf gemeinschaftliche Kosten“, „Das letzte Abentheuer“ oder „Von Sieben die Häßlichste“.
Rosalie genoss die besondere Achtung und Liebe von Mutter und Geschwistern. Richard empfand eine zarte, fast schwärmerische Neigung zu der zehn Jahre älteren mütterlichen Schwester, die sich besonders um ihn sorgte und sein Gedeihen und seine Entwicklung mit großer Anteilnahme verfolgte. So vermittelte sie ihm die Bekanntschaft mit dem Königlich Sächsischen Musikdirektor Heinrich Dorn, der mehrere seiner Kompositionen aufführte. Rosalie zuliebe vernichtete Richard seinen ersten Opernversuch „Die Hochzeit“, weil sie sich damit nicht befreunden konnte. Selbstlos unterstützte sie ihn finanziell, als er in Würzburg an der Komposition seiner ersten vollendeten Oper „Die Feen“ arbeitete, und unternahm alle Anstrengungen, wenn auch erfolglos, diese am Leipziger Theater unterzubringen.
Trotz vieler Verehrer fand Rosalie erst spät in Gotthard Oswald Marbach aus Jauer in Schlesien, der sich 1833 an der Universität Leipzig habilitierte und dort ab 1834 als Privatdozent für Philosophie an der Philosophischen Fakultät wirkte, den Mann, mit dem sie ihr künftiges Leben teilen wollte. Letztmalig stand sie am 14. September 1836 in dem Trauerspiel „Manfred, der Hohenstaufe“, dem ersten Drama ihres Bräutigams, als Violanta, Halbschwester des unglücklichen Königs Manfred, auf der Bühne des Stadttheaters. Am 23. Oktober 1836 gab sich das Brautpaar in der Schönefelder Kirche „in aller Stille“ das Jawort. Ein Jahr später, am 7. Oktober 1837, schenkte Rosalie einem Töchterchen das Leben, doch sie starb bereits fünf Tage später völlig unerwartet und wurde unter großer Anteilnahme auf dem Johannisfriedhof beigesetzt.
Die Kleine erhielt die Namen Margaretha Johanna Rosalia und wurde wie ihre unvergessliche Mutter Rosalie genannt. Ihre kurze Bühnenlaufbahn beendete sie nach ihrer Heirat am 5. April 1875 in der Leipziger Nikolaikirche mit dem Schauspieler Eduard Ferdinand Ludwig Daniel Frey aus Hamburg. Das bleibende Verdienst von Rosalie Frey besteht darin, 1910 ein Grabmal für ihre Großmutter und ihre Mutter auf dem Johannisfriedhof gestiftet zu haben, wobei sie ihr Mann unterstützte.
Adressen in Leipzig
- 1803 – 1814 Haus zum Roten und Weißen Löwen, Brühl 318 (später 3, 1886 abgebrochen; heute Einkaufscenter Höfe am Brühl).
- Ab 1829 Pichhof (heute Willy-Brandt-Platz, Westhalle Hauptbahnhof).
- Klitschergäßchen 794 (im Bereich der heutigen Dimitroffstraße).
- „Kauz“ 865 (1890 abgebrochen).
- Neue Straße 1092 (später Nordstraße 3).
- 1836/37 Petersschießgraben 835 (später Peterssteinweg, Münzgasse).
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Grabmal auf dem Alten Johannisfriedhof für Richard Wagners Mutter und seine Schwester Rosalie, gestiftet 1910 von Rosalie Frey geborene Marbach, Tochter von Rosalie Wagner, und ihrem Ehemann Eduard Frey. Die auf einem Granitsockel befindliche Marmorplatte zeigt eine junge Frau mit den Gesichtszügen von Rosalie Wagner, die von zwei Engeln emporgetragen wird. Unter dem Relief steht ein Sonett von Gotthard Oswald Marbach, das er der verstorbenen Gattin in tiefem Schmerz widmete: „Was der Erde entsproß,/ Nahm sie mütterlich auf, Was sich vom Himmel ergoß,/ Schwang sich zum Himmel hinauf!“
- Die Sockelinschrift lautet: „Hier ruhen in Gott Johanna Wagner-Geyer, geborene Berthis, Rosalie Marbach, geborene Wagner, Mutter und Schwester Richard Wagners“
- Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Altes Rathaus, Raum „Der verlorene Sohn“.
- „Der junge Richard Wagner 1813 bis 1834“. Ausstellung der Kulturstiftung Leipzig in der Alten Nikolaischule zu Leipzig (mit Ausstellungskatalog).
- Restaurant Auerbachs Keller, Mädler-Passage, Goethezimmer.
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Carl Friedrich Glasenapp: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern, Bd. 1, Leipzig 1905.
- Familienbriefe von Richard Wagner 1832 – 1874, Berlin 1907.
- Ludwig Avenarius: Avenarianische Chronik. Blätter aus drei Jahrhunderten einer deutschen Bürgerfamilie, Leipzig 1912.
- Friedrich Schulze: 100 Jahre Leipziger Stadttheater, Leipzig 1917.
- Walter Lange: Richard Wagner und seine Vaterstadt Leipzig, Leipzig 1921.
- Ders.: Richard Wagners Sippe. Vom Urahn zum Enkel, Leipzig 1942.
- Richard Wagner: Mein Leben. Einzige vollständige Ausgabe, hrsg. von Martin Gregor-Dellin, Bd. I und II, München 1969.
- Ders.: Richard Wagner. Sein Leben Sein Werk Sein Jahrhundert, Berlin 1987.
- Oswald Georg Bauer: Richard Wagner geht ins Theater, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, hrsg. von Wolfgang Wagner, Bayreuth 1996.
- Ursula Oehme: Richard Wagner und Leipzig, hrsg. vom Richard-Wagner-Verband Leipzig, Berlin 2013.
- Dies.: Die Ruhestätten der Familie Wagner auf dem Alten Johannisfriedhof zu Leipzig, Leipziger Beiträge zur Wagner-Forschung 5, hrsg. vom Richard-Wagner-Verband Leipzig, Markkleeberg Beucha 2016.
- Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth, Bibliothek, Handschriften- und Schallarchiv, Rosalie Wagner.
Autorin: Ursula Oehme (2023)