Walter, Ursula - Leipziger Frauenporträts
Ursula Walter, 1998 in der Museumsbibliothek im Alten Rathaus © Mit freundlicher Genehmigung von punctum Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Bildung/ Pädagogik
- Wissenschaft
geboren/ gestorben
7. Oktober 1928 Leipzig (Böhlitz-Ehrenberg) - 22. Oktober 2018 Leipzig
Kurzporträt
Die diplomierte Germanistin Ursula Walter - 1953 bis 1992 Bibliothekarin im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig - war eine exzellente Kennerin der Leipziger Stadtgeschichte und gefragte Beraterin. Die Pflege, Bewahrung und Erweiterung dieser Bibliothek war ihr Lebenswerk.
Herkunftsfamilie
- Vater: Kurt Richard Walter, Techniker im Telegraphenamt (1889-1964)
- Mutter: Johanna Margarethe Elly, geborene Schellenberger (1888-1971)
Biografie
Ursula Walter wuchs als einziges Kind wohlbehütet und geliebt in einem Einfamilienhaus mit Garten und Katzen in Böhlitz-Ehrenberg auf. Dass sie eine ältere Halbschwester aus des Vaters erster Ehe hatte, erfuhr sie erst als erwachsene Frau, was sie sehr schmerzte. Nach ihrem Abitur studierte sie an der Leipzig Universität Germanistik bei dem Germanisten, Literaturhistoriker und Goetheforscher Prof. Hermann August Korff (1882-1963). Daneben besuchte sie Seminare zum Museumswesen, die Dr. Heinz Füßler (1906-1990), der damalige Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, in Museumsräumen im Alten Rathaus abhielt. Hier fand Ursula Walter ihre Bestimmung. Erstmals arbeitete sie 1951 in ihren Semesterferien im Museum; 1952 wirkte sie schon an der Weihnachtsausstellung mit und brachte unter anderem ihre Puppenstube in die Ausstellung ein. Sie prüfte und ordnete die Grafiksammlung und war überhaupt in jeder freien Minute im Museum.
Nach ihrem erfolgreichen Studienabschluss begann sie im Herbst 1953 im Museum eine reguläre Tätigkeit; sie war die Wunschkandidatin für die neu geschaffene Stelle einer Bibliothekarin - für 360 Mark monatlich. Ursula Walter informierte sich in den großen Leipziger Bibliotheken und bildete sich umfassend weiter. Danach begann sie, die Bücher der Bibliothek zu ordnen und zu katalogisieren; etwa 40.000 waren es zu dieser Zeit. Es waren in der Hauptsache wertvolle historische Bestände, die 1909 mit den Sammlungen des Leipziger Geschichtsvereins das Museum begründet hatten. Das bedeutete, jedes Buch in die Hand zu nehmen und nach den damaligen Regeln der Preußischen Instruktionen zu katalogisieren, mehrere Karteikarten mit der Schreibmaschine zu schreiben, um sie in den alphabetischen und systematischen Katalog einzuordnen, nachdem sie die Systematik erst einmal geschaffen hatte. Oft hatte sie beim Abschreiben Hilfe von der Fachgruppe Stadtgeschichte im Kulturbund der DDR, der Nachfolgerin des 1949 aufgelösten Geschichtsvereins, deren Mitglied sie geworden war. Aber auch in anderen Abteilungen des Museums arbeitete sie aktiv mit, wie zum Beispiel in der Grafiksammlung, aber vor allem bei Ausstellungsvorbereitungen, saß sogar auch, wenn Personalnot war, an der Kasse. Im Laufe der Jahre wurde sie eine Kapazität auf dem Gebiet der Leipziger Stadtgeschichte und brillante Kennerin der Museumssammlungen.
Niemand, der stadthistorisch arbeitete, war ohne sie erfolgreich. 1958 konnte die Bibliothek im Alten Rathaus für die Benutzung geöffnet werden. Sie war mit Hilfe von Lottomitteln ausgestattet worden, hatte vom Salzgäßchen aus einen eigenen Eingang, war außer freitags täglich mehrere Stunden geöffnet und wurde rege genutzt. Unzähligen Hobbyhistoriker/-innen, Schüler/-innen, Student/-innen, Doktorand/-innen, auch den Professor/-innen der Universität war Ursula Walter eine unschätzbare Ratgeberin und Hilfe; mit ihrer Unterstützung entstanden Schülerarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und Habilitationsschriften, wissenschaftliche Aufsätze, journalistische Beiträge, historische Romane und Kriminalerzählungen. In ungezählten Schriften wird für ihre Unterstützung gedankt. Auch Praktikant/-innen profitierten von ihrem Wissen, das sie gern und kompetent weitergab. Ihr Engagement für die Stadtgeschichte, still und eher im Hintergrund, aber mit höchster Kompetenz, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Ursula Walter war dem Neuen stets aufgeschlossen. 1992, kurz vor ihrem Ruhestand, schaffte sie den ersten Computer für das Museum an und ermutigte ihre Kolleginnen zu einem ersten Kurs im Frauentechnikzentrum.
Abgesehen von ihren wissenschaftlichen Aufsätzen brachte sie in ungezählten stadtgeschichtlichen Beiträgen in Tageszeitungen (Leipziger Volkszeitung, Sächsisches Tageblatt, Mitteldeutsche Neueste Nachrichten und Union) und Zeitschriften einer breiten Leserschar populär die Geschichte Leipzigs nahe. Gern hätte sie selbst öfter wissenschaftlich gearbeitet, aber ihre Leser waren wichtiger; ihr fehlte die Zeit für eigene Forschungen. Daran scheiterte auch eine geplante Dissertation.
Die Zeit fehlte ihr auch für eine eigene Familie, so sehr war sie mit der Stadtgeschichte und "ihrem" Museum verwachsen. Ihre wichtigste wissenschaftliche Forschung war die zu dem 1824 auf dem Leipziger Marktplatz hingerichteten Mörder Johann Christian Woyzeck, für die sie akribisch alle Akten im Sächsischen Hauptstaatsarchiv in Dresden ausgewertet hatte und wertvolle Fakten lieferte.
Ihre zweite Liebe galt ihrem Garten, die dritte der Handarbeit, vor allem dem Klöppeln, dem sie mit einer Klöppelgruppe, die sich einmal wöchentlich abends in der Bibliothek traf, frönte. Hier entstanden Kunstwerke in einem fast vergessenen Handwerk von Frauenhänden.
Bei ihrem Abschied 1992 umfasste die Bibliothek, deren Pflege, Bewahrung und Erweiterung ihr Lebenswerk war, um die 100.000 Bände zur Leipziger und sächsischen Geschichte, zur Volkskunde und Museumstheorie, zu einem großen Teil wertvollster Altbestand mit seltenen Inkunabeln und Chroniken, und circa 20.000 Autographe. Die Präsenzbibliothek verzeichnete über 2.000 Benutzungen jährlich, dazu kamen monatlich etwa 100 schriftliche Anfragen, die akribisch und mit Sachverstand von Ursula Walter beantwortet wurden.
Werke
- Walter, Ursula: Neuerscheinungen zur Geschichte Leipzigs 1973, 1974. In: Jahrbuch zur Geschichte der Stadt Leipzig 1975. Leipzig 1975, Seite 165-172.
- Walter, Ursula: Wilhelm Liebknecht. Kurzer Lebensabriss und Auswahlbibliographie. In: Jahrbuch zur Geschichte der Stadt Leipzig 1976. Leipzig 1976, Seite 185-192.
- Peter Beyer, Regina Gröteke, Ursula Walter: Leipziger Zeitungen und Zeitschriften in Bibliotheken, Archiven und Museen der DDR 1660-1933. Leipzig 1976. (Arbeitsberichte zur Geschichte der Stadt Leipzig. Herausgegeben vom Stadtarchiv Leipzig. 1976, Heft 1 und 2.
- Ursula Walter: Die Bibliothek des Museums für Geschichte der Stadt Leipzig. In: Jahrbuch für Geschichte der Stadt Leipzig 1977, Seite 246-255.
- Walter, Ursula: Neuerscheinungen zur Geschichte Leipzigs 1975/76. In: Jahrbuch zur Geschichte der Stadt Leipzig 1978. Seite 221-229.
- Walter, Ursula: Neuerscheinungen zur Geschichte Leipzigs 1977, 1978. Auswahlbibliographie. In: Jahrbuch zur Geschichte Leipzigs 1980. Leipzig 1980, Seite 219-228.
- Ursula Walter: Unscheinbare Kostbarkeiten unserer Bibliothek. In: Leipzig. Aus Vergangenheit und Gegenwart. Beiträge zur Stadtgeschichte 1. Leipzig 1981, Seite 233-245.
- Ursula Walter: Es thut mir leid, daß ich Ihnen Sorge und Mühe gemacht habe.... Einiges aus den Richard-Wagner-Beständen der Bibliothek des Museums für Geschichte der Stadt Leipzig. In: Leipzig aus Vergangenheit und Gegenwart. Beiträge zur Stadtgeschichte 2. Leipzig 1983. Seite 251-260.
- Walter, Ursula: Goethe ist wohl und fleißig... Auf Goethes Spuren im Museum für Geschichte der Stadt Leipzig. In: Leipzig aus Vergangenheit und Gegenwart. Beiträge zur Stadtgeschichte 3. Leipzig 1984, Seite 223-233.
- Walter, Ursula: Procacchi's Trancier- oder Vorleg-Buch. In: Leipziger Blätter 5, Herbst 1984, Seite 92/93.
- Ursula Walter: Ganz Leipzig für 5 Neugroschen. Stadtführer des 19. Jahrhunderts. In: Leipziger Blätter 12. Frühjahr 1988, Seite 4-5.
- Walter, Ursula: In zeitgenössischen Quellen geblättert: 1863. In: Leipziger Blätter 12. Frühjahr 1988, Seite 8-9.
- Hans Christan Mannschatz/ Ursula Walter: Sachsen und Leipzig in den Jahren 1806 bis 1815. Regionalbibliographisches Verzeichnis. Leipzig 1988.
- Walter, Ursula: ... der Vollstreckung der Strafe soll gebührend nachgegangen werden... Eine Quellen-Dokumentation zum Prozess des Johann Christian Woyzeck. In: Leipzig aus Vergangenheit und Gegenwart. Beiträge zur Stadtgeschichte 6. Leipzig 1989. Seite 35-65.
- Walter, Ursula: Der Leipziger Promenadenring zur Biedermeierzeit. Leipzig 1989 (Reprint der Ausgabe von 1850).
- Rosemarie Frenzel/ Ursula Walter: Das romantische Leipzig in Kupferstichen von Carl Benjamin Schwarz. Mit einem Stadtplan. In: Leipzig aus Vergangenheit und Gegenwart. Beiträge zur Stadtgeschichte 7. Leipzig 1990. Seite 321-336.
- Walter, Ursula: Deutschlands erster Admiral war ein Leipziger. Rudolf Bromme zum Gedenken. In: Leipziger Blätter 19, Herbst 1991, Seite 32-35.
- Walter, Ursula: Auerbachs Keller zu Leipzig. Kunstdruckalbum. Leipzig 1992.
Adressen in Leipzig
- Pflaumestraße 10, Böhlitz-Ehrenberg
- Tarostraße 20, 04103 Leipzig;
- Juni 2017 - Oktober 2018: Diakonie-Pflegeheim Johann Heinrich Wichern, Seeburgstraße 11, 04103 Leipzig
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Mundus, Doris: "Ich wusste, daß mir das fehlen würde...". In: Leipziger Blätter 33, 1998, Seite 54/55.
Autorin: Doris Mundus, 2018