Zürner, Renate (geborene Müller) - Leipziger Frauenporträts
Rubrik
- Kunst
geboren/ gestorben
25. Januar 1930 (Meißen) - 18. April 2014 (Leipzig)
Zitat
"Gestern habe ich mich an die Grafik schon wieder rangemacht. Damals in Schkeuditz war meine Arbeit noch Skizze, ich gebe mir Mühe."
(Brief vom 06.11.2000)
Kurzporträt
Grundlage der Illustrationen, der dokumentarisch-poetischen Bilder von Renate Zürner waren das intensive Naturstudium an der Zeichenschule der Porzellanmanufaktur Meißen und das Studium an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Aus Alltäglichem vermochte sie unerwartete neue ästhetische Anblicke zu filtern.
Herkunftsfamilie
- Vater: Fritz Müller (1893-1945), selbstständiger Vulkanisiermeister, Meißen
- Elsa Müller (1895-1979), mithelfende Ehefrau, nach 10945 Schneiderin
Biografie
Renate Zürner zeichnete und malte aus Leidenschaft für die Dinge um sie her. Gewissermaßen als Dokumentaristin widmete sie sich ein Leben lang den Häusern in den Straßen, in denen sie wohnte (in Leipzig, dann in Radebeul), den Blumen im Haus und im Garten, den Landschaften, die sie durchwanderte und den Tieren. Ihre erste Ausbildung erfuhr sie als Porzellanmalerin in der Porzellanmanufaktur Meißen und konnte sie danach 1951 bis 1956 sofort an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig fortsetzen. Sie war Schülerin von Elisabeth Voigt, wie Klaus H. Zürner (1932-2010), ihr Kommilitone, den sie ein Jahr nach dem Diplom 1957 heiratete. Zu ihren Arbeitsgebieten gehörte die Illustration, auch die wissenschaftliche Illustration für Lexika und einen Musikverlag, was den schon in der Lehre ausgebildeten Blick für das Detail und den Sinn für Genauigkeit in der Wiedergabe schärfte. Elisabeth Voigt war es, die sie ins Tieranatomische Institut schickte, um dort Studien zu betreiben. Aus solcher Nähe zu diesem Metier entstanden eindrucksvolle Illustrationen für Tierfabeln.
Zwei Kinder vervollständigten bald die Familie. Die Wohnung war zunächst klein, zu klein, das größte von drei Zimmern musste eine Zeit lang als gemeinsames Atelier dienen. Gegen die Rastlosigkeit ihres gesellschaftlich sehr engagierten Gatten und die Anforderungen des Haushaltes mit zwei Kindern setzte Renate Zürner Ruhe, die ihr empfindsame Naturbetrachtung ermöglichte. Meistens arbeitete sie zu Hause, zurückgeworfen auf die vier Wände, auf den Arbeitstisch und Blicke aus den Fenstern. Und so sah sie immer wieder - sie wohnten dann schon in der größeren Wohnung Simsonstraße 5 - auf die einst glanzvollen Gebäude des Musikviertels. Bei ihren Streifzügen durch die Stadt berührte sie auch die teilweise kriegszerstörte Universitätsbibliothek. Ihre detailgenauen Zeichnungen und Aquarelle der alten historistisch geprägten Baukörper und Fassaden dieses Gebäudekomplexes geben eine ebenso exakte wie stimmungsvolle Dokumentation des langsamen Verfalls. Eine Feder- und Tuschezeichnung von 1986 demonstriert im Vergleich zu den Aquarellen von 1984 die schleichende Zerstörung.
Diese Zuwendung zum Alltäglichen, dem Naheliegenden, lehrt, dass darin das Überraschende, oft auch das Dramatische liegt, was sich nicht zuletzt aus Tages- und Jahreszeitenwechsel mit den unterschiedlichen Wettern, dem wechselnden Licht, einem rötlichen Sonnenball über verschneiter Stadtlandschaft oder fantastischen Wolkengebilden ergibt. Und es weitet sich der Blick in die Landschaft auf Wanderungen und Reisen durch heimische Gebiete, nach Bulgarien oder ins Böhmische. Auch hier geht es nicht um einen großen, allgemeinen Eindruck. Die besonderen Formationen von Wald und Windbruch, von Windflüchtern, vom hohen Ufer oder einem Drahtverhau in Ahrenshoop interessieren ebenso wie ein von Gras- und Schilf umwachsener Meliorationsgraben am Bodden, wie die sich mäandernd durchs Gebüsch schlängelnde Saale oder wie die Berg- und Felsenwelt der Sächsischen Schweiz. Mit feinen Strichlagen von klassischer Anmutung formulierte Renate Zürner ein Felsenpanorama oder die vom Sturm entwurzelten Bäume vor einer Waldkulisse. Ihr gelang es, aus der verwirrenden Vielfältigkeit der Erscheinungen ganz selbstverständlich das Gültige herauszufiltern und dabei Außergewöhnliches zu entdecken: Der alte, dicke, gespaltene Baumstumpf inmitten eines verlassenen Dorfplatzes gleicht, seine Aststummel gen Himmel reckend, einem verletzten Geschöpf. In bizarren Strukturen verbinden sich die hohen kräftigen Dolden des eingewanderten exotischen Wolfsmilchgewächses mit hiesiger Flora. Einem springenden Pferd oder Einhorn gleichend, schaut die knorrige Buche hinter der einzigen starken Kiefer des Jungwaldes hervor. Durch den Einsatz von tonigem Papier steigert sich die Stimmungskraft solch einer Kreation.
Zum Œuvre von Renate Zürner gehören meisterhafte Zeichnungen, kräftige und zartfarbige Aquarelle und Ölbilder sowie exzellente Arbeiten in den druckgrafischen Techniken des Linolschnittes oder des Holzschnittes mit besonders dezent eingesetzten Farben. Trotz großem Handicap zeichnete sie bis zuletzt, und sei es mit feinsten Strichen und Tönungen ein Alpenveilchen.
Ohne viel Aufhebens, so ganz in der Stille stetig wirkend, vervollständigte die Künstlerin ihr Opus, von dem Teile immer wieder in Ausstellungen zu sehen waren. Ihre Bilder gehören zur Leipziger Kunst unserer Zeit. Ganz speziell verwirklichte sie ein Vermächtnis ihrer Lehrerin Elisabeth Voigt, die damals als einzige Frau zum Lehrkörper der Hochschule für Grafik und Buchkunst gehörte, ein Vermächtnis, das heißen könnte: Vorbild sein für andere, indem sie immer, auch unter schwierigen Umständen, als Künstlerin präsent war.
Werke
- Illustrationen zu "Schmaus beim Bären", Fabel von Krylow, Holzschnitt, 1956
- Mehrere Außen- und Innenwandgestaltungen für Kindereinrichtungen gemeinsam mit Klaus H. Zürner zum Beispiel in Leipzig-Großzschocher und Markkleeberg (am Wasserturm)
- Pavian, Federzeichnung, 1970
- Schlosspark, Feder, 1973
- Winterliche Stadtlandschaft, Aquarell, 1976
- Nebel im Schlosspark, Aquarell, 1978
- Winterliche Stadtlandschaft, Holzschnitt, 1979
- An der neuen Hochstraße Leipzig-Connewitz, Farbholzschnitt, 1979
- Blumenfenster, Aquarell, 1981
- Felsen und Meer, Bleistift aquarelliert, 1981
- Am Bodden (Meliorationsgraben, Aquarell, 1981
- Schornsteine und Antennen I und II, Aquarell, 1981
- Klippen am Schwarzen Meer, Radierung, 1982
- Schwertlilien, kolorierter Holzstich, 1982
- Staudengarten, Aquarell, 1983
- Bibliotheca Albertina Leipzig I und II, Aquarell, 1984
- Landschaft mit Felsen (Sächsische Schweiz), Federzeichnung, 1984
- Mooriger Tümpel, Aquarell, 1985
- Am Moor, Federzeichnung, 1985
- Gebirgslandschaft mit Kalkfelsen, Aquarell über Bleistift, 1985
- Winterliche Stadtlandschaft II, Aquarell, 1985
- Weststrand I, Federzeichnung, 1986
- Historische Ruine [Universitätsbibliothek], chinesische Tusche, weiß gehöht, 1986
- Landschaft mit Felsen, Federzeichnung, 1989
- Gewitterstimmung an der Ostsee, Aquarell, 1989
- Drahtverhau (Ahrenshoop), Federzeichnung, 1989
- Weststrand (Darß), Aquarell, 1990
- Birken und Kiefer, Aquarell, 1990
- Sanddünen, Bleistift,weiß gehöht auf Tonpapier, 1992
- Verlassener Dorfplatz, Farbholzschnitt, 1995
- Buche und Kiefer, Federzeichnung auf Tonpapier, 1995
- Zu Else Lasker-Schüler "Ein Lied", Holzschnitt von 2 Platten, 1996
- Garten, Aquarell über Bleistift, 1997
- Fensterblick Radebeul, Farbholzschnitt, 1998
- Fensterblick Radebeul, Farbholzschnitt, 2000
Adressen in Leipzig
- 1958 bis 1978: Karl-Liebknecht-Straße 6b
- 1978 bis 1993: Simsonstraße 5 (danach Radebeul)
- 2008 bis 2014: Bockstraße 1-3 (Seniorenheim)
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- [Katalog] Kunstausstellung Leipzig 1956. Herausgeber: Verband Bildender Künstler Deutschlands, Bezirk Leipzig. Mit Abbildung. Unter Renate Müller.
- [Katalog] Bezirkskunstausstellung Leipzig Architektur und bildende Kunst. Herausgeber: Rat des Bezirkes Leipzig und andere, 1969, unpaginiert, (Abbildung).
- Holzschnitt im Bezirk Leipzig. Herausgeber: Lindenau-Museum Altenburg 1973, unpaginiert, (Abbildung).
- [Katalog] 9. Kunstausstellung des Bezirkes Leipzig 1974. Herausgeber: Museum der bildenden Künste Leipzig, 1974, Teil I, Seite 175.
- [Katalog] 10. Kunstausstellung des Bezirkes Leipzig. Malerei, Grafik, Plastik im Museum der bildenden Künste. (Herausgeber) Rat des Bezirkes Leipzig, VEB E.A. Seemann Verlag. Leipzig 1979, Seite 149.
- Rita Jorek. Rastlosigkeit und Ruhe. Drei Leipziger Künstler stellen bei "Wort und Werk" aus. LVZ vom 20./21. 9. 1980.
- [Katalog] IX. Kunstausstellung der DDR . Herausgeber: Ministerium für Kultur der DDR, Verband Bildender Künstler der DDR. Dresden 1982. Seite 250.
- [Katalog] 11. Kunstausstellung des Bezirkes Leipzig. Malerei, Grafik, Plastik im Museum der bildenden Künste. (Herausgeber) Rat des Bezirkes Leipzig 1985, Seite 154 (Abbildung), 171.
- Ingrid Leps: Bekenntnis zu Schönheit und Harmonie. Die Union vom 18.12. 1985.
- Barbara Melchert. Drei spezifische Stimmen. In: Die Union vom 23.3.1989.
- Christiane Agricola. Dauerhafte Augenblicke. In: Mitteldeutsche Neueste Nachrichten vom 5.4.1989.
- [Katalog] Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. 1945 bis 1989 [Teil I], Herausgeber: Arno Rink, Dieter Gleisberg, Leipzig: VEB E. A. Seemann Verlag 1989, Seite 233.
- GETRENNT VEREINT - Malerei, Grafik, Plastik, Objekte. Herausgeber: GEDOK Leipzig/Sachsen e.V., Frauenanstiftung Hamburg. Leipzig 1994, Seiten 116/117 (Abbildung).
- Bildende Künstler in Leipzig, Herausgeber: Neuer Leipziger Kunstverein, Passage-Verlag 1994, Seite 238 (Abbildung); art.media Verlag 2006, Seite 321 (Abbildung).
- GEDOK Leipzig/Sachsen e.V., Herausgeber Heidy Glöckner, Rita Jorek, Birgit Bahlke. Leipzig 1995, Seite 77/78 (Abbildung).
- Rita Jorek. Vom Menschen zum Kosmos - vom Kosmos zum Menschen. Graphik für Else Lasker-Schüler. In: Republik der Künste. 70 Jahre GEDOK. Herausgeber: GEDOK Schleswig-Holstein, Lübeck, 1996, Seiten 110-114 (Abbildung).
- Zeitgleich. Hrsg.: Bund Bildender Künstler Leipzig E.V. 1997, Seite 75 (Abbildung), 80.
- Haus. Malerei. Grafik. Plastik. Text: Anneliese Hübscher. Herausgeber: Universität Leipzig Kustodie, 1998, Seite 3, 22/23 (Abbildung).
- Klaus Zürner. Versuch einer Laudatio für die Frau und Künstlerin an meiner Seite. In: Renate Zürner. Aquarelle, Zeichnungen, Druckgrafik. Herausgeber: Stadtgalerie in der Kulturschmiede Radebeul, 2000.
- [Katalog] Handzeichnung und Kleinplastik. Herausgeber: BBKL 2002, Seite 69 Abbildung, 73.
- Wolfgang Zimmermann. Gefragte Illustratorin und Malerin. Renate Zürner wird 75. In: Sächsische Zeitung vom 25.01.2005; Vorschau und Rückblick. Kultur-Monatsheft Radebeul, Februar 2005.
- Dietmar Eisold: Lexikon Künstler der DDR. Berlin: Verlag Neues Leben 2010, Seite 769.
- Allgemeines Künstlerlexikon - Internationale Künstlerdatenbank - Online. 2011-2016.
- VERDICHTET - was war - was ist - was wird sein. 20 Jahre GEDOK. Teil II. Herausgeber: GEDOK-Gruppe Leipzig/Sachsen; Brigitte Blattmann, Dagmar Zehnel. Leipzig 2011, Seite 1077.
- 20 Jahre GEDOK. Frauenkunstschöpfung, Katalog, Leipzig 2016, unpaginiert.
Autorin: Rita Jorek, 2017