Heute hat Oberbürgermeister Burkhard Jung den Gedenkort für die Opfer der Kindereuthanasieverbrechen - als zentralen Gedenkort der Leipziger Euthanasieverbrechen - eingeweiht.
Anlass für dieses Denkmal ist, dass sich in Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus zwei Kliniken befanden, in denen behinderte Kinder ermordet wurden. Man weiß heute, dass allein in der Kindertötungseinrichtung der Heil- und Pflegeanstalt Leipzig-Dösen zwischen Oktober 1940 und Dezember 1943 über 551 Tötungen erfolgt sind. Die Mehrzahl der Opfer, die aus ganz Sachsen kamen, wurde auf Leipziger kommunalen Friedhöfen beerdigt. Die größte Gruppe davon - etwa 100 - fanden in unmittelbarer Nähe des Gedenkortes, auf dem ehemaligen Neuen Johannisfriedhof und heutigem Friedenspark, ihre letzte Ruhestätte.
Die Eröffnung des Gedenkortes bildet den Abschluss eines längeren Recherchezeitraumes, der die bis dahin unbekannten Opfer dem Vergessen entrissen hat, die geschichtlichen Hintergründe aufgedeckt und öffentlich gemacht hat. Ein Buch und eine Ausstellung sind seit 2006 zu diesem Thema erschienen, die Stadt Leipzig hat eine Dokumentation veröffentlicht, die durch Schulen im Unterricht genutzt werden kann.
Hier im Leipziger Friedenspark wollen wir dem Gedenken an die Opfer einen Ort geben. Dieser Ort schreit nicht nach Aufmerksamkeit, sondern lädt mit freundlicher Zurückhaltung ein. Er verbindet auf besondere Weise Authentizität mit der Eigenschaft, als öffentlicher Raum lebendiger Teil unseres heutigen Leipziger Stadtlebens zu sein. Damit ist er ein Kreuzungspunkt zwischen Vergangenheit und Gegenwart - ein Ort, geeignet, uns zum Erinnern einzuladen, würdigt Oberbürgermeister Burkhard Jung die Gedenkstätte.
Der Gedenkort wurde durch das Engagement von großzügigen Spendern wie der Bürgerstiftung Leipzig, dem Universitätsklinikum Leipzig, der Fielmann AG, der Park-Krankenhaus Leipzig-Südost GmbH, sowie niedergelassenen Kinderärzten und Psychiatern, Stadträten aber auch Bürgern der Stadt Leipzig möglich.
Die Einweihungsfeier wird unterstützt durch das Schulverweigerer Projekt Youth Start der Sächsischen Lehmbaugruppe. Die Jugendlichen haben auch schon in der Vergangenheit Grundlagen für den Gedenkort geschaffen. Sie hatten sich in Projekten mit dem Thema beschäftigt und ein Modell, das Grundlage des Baus ist, geschaffen.
Der Gedenkort steht ab heute allen Leipzigern zum Gedenken an diese furchtbaren Ereignisse zur Verfügung. Noch im Verlauf des Jahres wird der Gedenkort mit einer Internetseite ergänzt, auf der Hintergrundinformationen und Dokumente hinterlegt sind.
Der Gedenkort
Die Landschaftsarchitektin Antje Schuhmann legte Ihrem Entwurf mit dem Zitat Das ist die Wiese Zittergras und das der Weg Lebwohl ein Gedicht von Christine Lavant zugrunde (siehe Anlage). Die Autorin aus Österreich, selbst von Kindheit an kränklich und depressiv, schildert darin in sehr lyrischer Sprache die kindliche Angst vor dem Tot und der Vernichtung.
In einem kleinen Garten, geschützt unter Bäumen, in unmittelbarer Nähe der authentischen Grabstellen sollen die Wiese Zittergras und der Weg Lebwohl symbolhaft für die Angst der Kinder und die Ausweglosigkeit Ihres Schicksals lebendig werden. Zwei streng geschnittene, überschaubare Hecken parallel zu beiden Baumreihen formen einen rund 45 m langen und 6 m breiten schmalen Raum. In seinem Inneren befindet sich ein dichtes Gräserfeld die Wiese Zittergras. Hindurch führt in langen Schlängellinien der Weg Lebwohl, ein schmaler Weg, dessen Ende man nicht sieht. Auf den Weg sind das Gedicht und einige Informationen angebracht.
Die Reduzierung auf wenige, prägnante und eher herbe Elemente vermeidet den Eindruck der Gartenidylle. Der Ort erhebt nicht den Anspruch auf vollständige Informationen, sondern soll Raum bieten für das persönliche, stille Nachdenken über dieses traurige Thema der Geschichte.
Hintergrund: Euthanasie in Leipzig In Leipzig wurden ab 1939 psychisch kranke und körperlich behinderte Kinder und Jugendliche systematisch ermordet. Landesweit sorgte ein ausgeklügeltes System mit zahlreichen Mitwirkenden dafür, dass eigentlich Undenkbares furchtbare Realität wurde.
Gesteuert wurde das Kindereuthanasieprogramm durch den so genannten Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagenbedingten schweren Leiden, eine Tarnorganisation in Berlin sowie durch Landesbehörden, städtische Ämter, Kliniken, Heil- und Pflegeanstalten, Ärzte, Hebammen und Fürsorgerinnen, die alle in ein Netz eingebunden waren, das erfasste, meldete, begutachtete und einwies. Sie organisierten den Prozess bis hin zur Tötung der Kinder in einer Klinik, wenn ihr Leben als lebensunwert beurteilt wurde.
Gesundheitsämter meldeten dafür vorgesehene kranke und behinderte Kinder. Nach Aktenlage wurde dann durch die Gutachter über das Weiterleben oder die Tötung jedes Kindes entschieden. Entscheidende Kriterien waren die spätere Arbeitsfähigkeit und die Gemeinschaftsfähigkeit - und damit die Frage, welchen messbaren Nutzen der einzelne Mensch für die Gesellschaft einmal haben würde.
So genannte Kinderfachabteilungen wurden eingerichtet. Mit diesem Euphemismus sollte verschleiert werden, worum es dort eigentlich ging: um die Tötung behinderter Kinder. Die Überweisung zur Behandlung dorthin bedeutete, dass die Ermordung eines kleinen Patienten behördlich beschlossene Sache war.
Die meisten Familien schickten Ihre Kinder im besten Glauben in die Kinderfachabteilung. Die Verantwortlichen täuschten ihnen vor, dort stünden den kleinen Patienten moderne Therapien zur Verfügung. Therapien jedoch gab es nicht. Die Eltern wurden nach der Tötung schriftlich über den Tod ihres Kindes informiert angeführt wurde eine natürliche Todesursache. Aus einigen wenigen Zeugnissen ist bekannt, welch schmerzende Lücke der Verlust der Kinder bei den Familien hinterlassen hat. Bis heute sind einige Angehörige noch auf der Suche nach Informationen zum Schicksal eines Familienmitgliedes.
Leipzig nahm in zweierlei Hinsicht eine besondere Rolle bei der nationalsozialistischen Kindereuthanasie ein: Zum Einen trug sich hier in Leipzig der erste offiziell legitimierte Fall einer Kindstötung durch Ärzte zu. Im Zeitraum zwischen Frühjahr und Sommer 1939 wurde in der Universitätskinderklinik unter Professor Werner Catel ein behindertes Kind durch medizinisches Personal gezielt eingeschläfert. Dieser als Fall Leipzig oder Kind K in der Geschichtsforschung bekannt gewordene Fall gilt als Initialzündung für die reichsweite Ermordung behinderter Kinder. Catel selbst war bei der Umsetzung dieser Verbrechen als einer der drei Gutachter der Tötungsorganisation beteiligt.
Zum Zweiten hatte Leipzig eine besondere Rolle inne, weil es, neben Hamburg und Berlin, einer der wenigen Orte war, in denen sogar zwei Kindertötungseinrichtungen existierten.
Insgesamt 551 Tötungen sind bislang allein für die Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Leipzig-Dösen belegt im Zeitraum von Oktober 1940 bis Dezember 1943. Nach dem großen Bombenangriff Ende 1943 wurde sie nach Großschweidnitz bei Löbau verlagert, wo noch einmal mehr als 300 Kinder getötet wurden. Die zweite Kinderfachabteilung, die der Leipziger Universitätskinderklinik, zog auf das Dösener Gelände und war dort bis zum Ende des Krieges in Funktion
Auch für die Kinderfachabteilung der Universitätsklinik ergibt sich aus den Sterbeeinträgen des Standesamtes eine wahrscheinlich dreistellige Opferzahl. Nachweise dafür allerdings fehlen, die Unterlagen die das belegen könnten, gingen zum Teil kriegsbedingt verloren oder sind nach dem Krieg gezielt vernichtet worden.
Hinweis: Mit dem Relaunch von leipzig.de 2013 sind Bilder und Verlinkungen dieses Artikels nicht mehr verfügbar.
Ein Gedenkort im Friedenspark erinnert an die Opfer von Kindereuthanasieverbrechen
Datum: