Seit dem 12. Juni prangt das Konterfei des berühmten Chemie-Professors Justus von Liebig (1803-1873) auf Leipziger Litfass-Säulen. Der Wegbereiter von Mineraldünger und Erfinder von Babynahrung hatte in seiner Schulzeit ein Problem, das man auch von manchem heutigen Jugendlichen kennt: Er war undiszipliniert, eckte schnell an, offenbarte Lernschwächen und galt deshalb unter seinen Lehrern als Schafskopf.
Mit diesem dritten Prominenten-Beispiel will das Regionale Übergangsmanagement (RÜM) der Stadt Leipzig Unternehmer dazu animieren, auch problematischeren und
leistungsschwächeren Schülern eine Ausbildungs- und Jobchance zu geben.
Vor Liebig warben schon Albert Einstein und Winston Churchill für dieses Anliegen: Sie alle waren keine idealen Azubi-Anwärter und doch später in ihrem Beruf sehr erfolgreich.
Justus von Liebig verkündet seine Botschaft auf 65 Plakatsäulen im Leipziger Stadtgebiet. Albert Einstein hatte seine Plakatkarriere zur Handwerksmesse im Februar gestartet. Winston Churchill ist Motiv auf Bildpostkarten, so genannten Citycards, die in Leipziger Treffpunkten und Kultureinrichtungen ausgelegt waren und nach wie vor auf Bildungsmessen sowie Veranstaltungen von Wirtschaft und Kammern für mehr Ausbildungschancen sensibilisieren. Interessenten und Unterstützer des Anliegens können diese Citycards auch in der RÜM-Koordinierungsstelle im Leipziger Stadtteil Plagwitz beim Amt für Jugend, Familie und Bildung - erhalten.
Der Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf hat viele Klippen. Das Regionale Übergangsmanagement unter Projektleiterin Claudia Steudel versucht, dafür die strukturellen Bedingungen zu verbessern. Zunehmend nimmt die Wirtschaft, beispielsweise das Handwerk, den Ball auf. So schlossen die Handwerksbetriebe im Direktionsbezirk Leipzig bis Ende Mai 16 Prozent mehr Lehrverträge ab als im Vorjahreszeitraum, wie die zuständige Kammer ermittelte. Siegfried Haller, Leiter des städtischen Amtes für Jugend, Familie und Bildung, sieht darin die Bemühungen von RÜM und seines Amtes bestätigt: Der demografische Wandel zwingt auch die Unternehmen und nicht nur die Jugendlichen, mehr für den Übergang zu tun. Viele Unternehmer erkennen, dass sie sich intensiver und
frühzeitiger um ihren Nachwuchs kümmern müssen, auch ganz individuell mit Blick auf die jeweiligen Voraussetzungen. Da reicht es nicht mehr, nur mit dem Finger auf das staatliche Schulsystem und die Behörden zu zeigen.
Informationsangebote
Doch viel bleibt noch zu tun: Dabei setzen das RÜM und seine Partner nicht nur auf Plakatkampagnen und umfassende Informationsangebote für Jugendliche, Eltern und Unternehmer. Veranstaltungen helfen, dass jeder Topf seinen passenden Deckel findet, wie unlängst am 24. Mai zur Integrationsmesse.
- Zum ersten gemeinsamen Tag der Ausbildungschance am 18. Juni offerieren Agentur für Arbeit, IHK zu Leipzig sowie die Handwerkskammer zu Leipzig gemeinsam freie Lehrstellen in der Metall- und Elektrobranche, im Hotel- und Gaststättenwesen, Dienstleistungssektor, Bau- und
- Wer sich weiterbilden will, um seine Chancen zu erhöhen, kann zum Zweiten IHK-Weiterbildungstag am 23. Juni gehen (Zentrum für Aus- und Weiterbildung, 9 bis 13 Uhr).
Hintergrund: Detailinformationen zum Beispiel Justus von Liebig
Justus von Liebig (1803-1873) gehörte zu den ersten Wissenschaftlern, die sich mit der organischen Chemie beschäftigten, und leistete einen entscheidenden Beitrag zu deren Etablierung als eigenständige Forschungsdisziplin. Auch gilt er als Wegbereiter der Agrikulturchemie zum Beispiel, indem er 1855 das Minimum-Gesetz postulierte, welches besagt, dass die im Verhältnis knappste Ressource das Wachstum einer Pflanze nicht kompensierbar einschränkt. Als zweiter und bis heute letzter Nicht-Amerikaner wurde ihm deshalb postum die Ehre der Aufnahme in die Agricultural Hall of Fame zuteil.
In Deutschland würdigte man seine Leistungen bereits zu Lebzeiten mit der Ernennung zum Freiherrn. Schließlich revolutionierte Justus von Liebig den Alltag durch die Erfindung von inzwischen selbstverständlichen Dingen wie Fleischwürze oder Babynahrung.
In Anbetracht dieser bemerkenswerten Leistungen überrascht es, dass er als Kind als Plage für Pädagogen und vollkommen nutzlos galt. Tatsächlich ist einer der bedeutendsten deutschen Chemiker nur ein weiteres prominentes Beispiel für Schüler mit Disziplin- oder Lernschwächen, die aber als Erwachsene schnell über ihren bis dahin etwas problematischen Lebenslauf hinausgewachsen sind.
In seiner Jugend konnte sich der Sohn eines Farbenhändlers und explodierende Spielzeug-Knallkapseln vertreibenden Kaufmanns kaum für die schulischen Angebote der damaligen Zeit begeis-tern. Stattdessen unterstützte der junge Liebig seinen Vater und experimentierte in seiner Freizeit mit Chemikalien wie Quecksilber, Salpetersäure und Alkohol. Im Darmstädter Ludwig-Georgs-Gymnasium war von seiner Kreativität wenig zu spüren. So soll sich einer der Lehrer über Liebigs intellektuelle Fähigkeiten mit den Worten: Du bist ein Schafskopf! Bei Dir reicht es nicht mal zum Apothekenlehrling, geäußert haben, womit er zunächst Recht behalten sollte. Denn schon in der Sekunda war die schulische Ausbildung für den späteren Professor, welcher an verschiedenen Universitäten dozierte, beendet. Ein Grund dafür war offensichtlich auch das von Liebig zur Schule und dort zur Explosion gebrachte Knallpulver.
Die im September 1817 begonnene Lehre als Apotheker in Heppenheim an der Bergstraße währte lediglich zehn Monate. Es existieren autobiografische Befunde, dass sich von Liebig bereits zu diesem Zeitpunkt ausreichend ausgebildet fühlte. Auch könnte die Kenntnis der finanziellen Situation seines Vaters ebenso zum Abbruch seiner Lehre geführt haben wie ein durch private Versuche mit Knallsilber ausgelöster Dachstuhlbrand.
Trotz einer nicht abgeschlossenen schulischen und beruflichen Ausbildung erhielt Justus von Liebig die Berechtigung zu einem Chemiestudium an der Universität in Bonn und folgte später seinem Professor nach Erlangen. Fortan gaben seine studentischen Leistungen keinen Anlass zur Klage; Liebig hatte seine Profession gefunden. Gleichzeitig engagierte er sich in einer der damals verbotenen Burschenschaften. Schließlich kam es zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei, bei der einer der bedeutendsten deutschen Chemiker handgreiflich wurde, eine mehrtägige Haftstrafe erhielt und deshalb sein Studium 1822 vorübergehend unterbrechen musste.
Kein akzeptables schulisches Resümee, eine abgebrochene Berufsausbildung, ein mit Makeln behaftetes Führungszeugnis das alles hätte heute mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Großteil der ausbildenden Unternehmen in Leipzig vor dem jungen Justus als Auszubildenden abgeschreckt - zu Unrecht, wie es Liebig damals eindrucksvoll bewiesen hat und wie es sicher auch heutige Jugendliche beweisen werden, sofern ihnen die regionale Wirtschaft die Möglichkeit dazu gibt.
Bildmotiv: www.uebergangsmanagement-leipzig.de , Menüpunkt Chancen-Makler
Weitere Informationen
Koordinierungsstelle Regionales Übergangsmanagement Leipzig
Amt für Jugend, Familie und Bildung
Telefon: 0341 123 6823
Mail: Claudia.steudel@leipzig.de
Perspektive Berufsabschluss
Perspektive Berufsabschluss" ist ein Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung,das durch strukturelle Veränderungen den Anteil von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ohne beruflichen Abschluss dauerhaft senken will. 97 Projekte sollen dafür Netzwerke in zwei
unterschiedlichen Förderschwerpunkten nachhaltig etablieren.
Regionales Übergangsmanagement stimmt an 55 Standorten die verschiedenen bereits vorhande-nen Förderangebote und Unterstützungsleistungen aufeinander ab, um Jugendlichen den Anschluss von der Schule in eine Berufsausbildung zu erleichtern. Abschlussorientierte modulare
Nachqualifizierung schafft durch 42 Projekte geeignete Rahmenbedingungen, um an- und ungelernten jungen
Erwachsenen mit und ohne Beschäftigung einen nachträglichen Berufsabschluss zu ermöglichen.
Perspektive Berufsabschluss wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung aus Bundesmitteln und von der Europäischen Union aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds in den Jahren 2008 bis 2013 mit insgesamt rund 67 Millionen Euro finanziert.
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