Siebe, Josephine - Leipziger Frauenporträts
Josephine Siebe, o. J. © gemeinfrei Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Literatur
- Frauenbewegung
geboren/ gestorben
10. November 1870 (Leipzig) - 26. Juli 1941 (Leipzig)
Zitat
"Heute steht neben dem Wort die Tat, heute prägen die Frauen ihre Worte bereits in Werte um, denn die Zeit ist vorüber, da in der Frauenbewegung das Wort herrschte - herrschen mußte, da Worte schon große mutige Taten waren."
(Leipziger Tageblatt vom 03.11.1904)
Kurzporträt
Die vielgelesene Kinder- und Jugendbuchautorin Josephine Siebe war auch Herausgeberin und Redakteurin. Als Schriftleiterin der Frauenbeilage des Leipziger Tageblatts thematisierte sie Mädchenerziehung, Frauenbildung und Frauenberufstätigkeit und gab der Beilage in dieser Zeit ein eigenes Profil.
Herkunftsfamilie
- Vater: Carl Ernst Siebe (1834-?), Fotograf
- Mutter: Josephine Siebe, geborene Scholtz (1836-1899)
- Geschwister:
- Ottilie Riedel, geborene Siebe (1864-?)
- Karl (1866-1875)
- Hugo Friedrich Ferdinand Siebe (1867-1952), Fotograf und Kaufmann
- Helene (1869-1878)
- Walter (als Kind gestorben)
Biografie
Josephine Siebe wurde vor allem als Autorin zahlreicher Kinder- und Jugendbücher bekannt. Viele ihrer Geschichten wurden schon zu ihren Lebzeiten mehrfach aufgelegt und in andere Sprachen übersetzt. Unbekannter dagegen ist Josephine Siebes Wirken als Herausgeberin, Kritikerin und Redakteurin sowie ihr Einsatz im sozialen Bereich. Sie lebte in der Großstadt und liebte das Landleben. Obwohl sie selber unverheiratet und kinderlos blieb, schrieb sie voller Einfühlungsvermögen für Kinder und setzte sich für ihr kleines Publikum tatkräftig ein.
Ihre Eltern stammten ursprünglich aus der preußischen Provinz Posen. In Leipzig, wo der Vater einen Fotografenladen eröffnet hatte, kam Josephine Siebe am 10. November 1870 als fünftes von sechs Kindern zur Welt. Von den Geschwistern erreichten nur zwei ältere, ein Bruder und eine Schwester, das Erwachsenenalter. Mit ihnen fühlte sie sich zeitlebens innig verbunden. Die Kindheit verbrachte Josephine Siebe neben Leipzig unter anderem in Jena, Halle/ Saale, Halberstadt und Bromberg. Der Aufenthalt in der Natur und auf dem Land, wo der Vater in Pösen bei Jena zeitweilig ein Gut besaß, beeinflusste ihr Schaffen nachhaltig. Obwohl sie den größten Teil ihres Lebens in Leipzig verbrachte, spielen viele ihrer Geschichten auf dem Land und zeugen von tiefer Naturverbundenheit.
Nach dem Schulbesuch wollte Josephine eine Mal- und Zeichenausbildung absolvieren, hatte aber auch schon erste Kurzgeschichten für Zeitschriften geschrieben. 1901 erschien ihr Roman "Stille Kämpfer", gefolgt von weiteren Geschichten.
Der Durchbruch gelang ihr mit der Erzählung "Bäschen Bangbüchschen", für die sie 1905 bei einem Erzählwettbewerb einen ersten Preis erhielt. Dadurch wurde der Stuttgarter Verleger Maximilian Levy auf sie aufmerksam, in dessen Verlag Levy & Müller (später Herold Verlag) in den folgenden Jahren mehr als dreißig ihrer Bücher erscheinen sollten.
1903 zog Josephine Siebe in das Haus des 1871 von Henriette Goldschmidt (1825-1920) gegründeten Vereins für Familien- und Volkserziehung in der Weststraße 16, der heutigen Friedrich-Ebert-Straße (das "Henriette-Goldschmidt-Haus" ist im Jahr 2000 wegen einer geplanten, aber nicht umgesetzten Straßenerweiterung abgerissen worden). Dort wohnten neben Henriette Goldschmidt, die ihr eine mütterliche Freundin war und deren Biografie sie später verfasste, weitere für Frauenrechte und Fröbelpädagogik engagierte Frauen, mit denen sie sich geistig eng verbunden fühlte.
Von 1904 an arbeitete Josephine Siebe mehrere Jahre lang als Schriftleiterin der Frauenbeilage des Leipziger Tageblattes und später auch für den Frauenteil von Reclams Universum, schrieb Artikel, Rezensionen und Feuilletons. Unter ihrer Leitung bekam die Frauenbeilage des Leipziger Tageblattes nicht nur einen größeren Umfang als zuvor, sondern ein ganz eigenes Profil, das nach ihrem Ausscheiden aus der Redaktion wieder verloren ging. Nachrichten aus der Frauenbewegung weltweit waren nun ebenso vertreten wie Artikel namhafter Autorinnen zur Frauenproblematik und lokale Frauenangelegenheiten. Viele Kurznachrichten und Leitartikel stammen aus der Feder Josephine Siebes und zeugen von ihren journalistischen Fähigkeiten und ihrer profunden Kenntnis der Frauenbewegung. Mädchenerziehung, Frauenbildung und die Möglichkeit, als Frau einen eigenen Beruf zu ergreifen, waren ihr wichtige Anliegen, die sie auch in ihren Jugendbüchern thematisierte.
Josephine Siebe reiste viel. Außer der Erholung dienten die Fahrten der Pflege von Kontakten und ihrer Arbeit. Auf ihren Reisen verschenkte sie nicht selten Geld, das sie nicht unbedingt brauchte. Der Einsatz für Bedürftige spielte für sie eine große Rolle. In ihren Geschichten thematisierte Josephine Siebe Armut beziehungsweise Verarmung häufig und scheute sich nicht vor Themen wie Tod oder Kriegsfolgen für die Zivilbevölkerung. Gerade das Wohlergehen der Kinder lag der Autorin stets sehr am Herzen. "Das Heimbuch" (1924) beschreibt ihre Vision eines Erholungsheimes für Kinder aus der Stadt. Kinder und Jugendliche waren Zielgruppe und Hauptfiguren der meisten Erzählungen und Geschichten Josephine Siebes. Auch an die Erwachsenen wandte sich die Schriftstellerin und trat für einen liebe- und verständnisvollen Umgang mit den Heranwachsenden ein: "Nur wenn wir versuchen, des Kindes Gedanken nachzudenken, wenn wir im Verkehr mit dem Kinde gleichsam noch einmal schon einmal zurückgelegte Wege wiedergehen, uns des eigenen Werdens bewußt werden, dann kann es uns gelingen, einem Kinde gerecht zu werden." (Die Welt im Kinderköpfchen. Deutsche Elternbücherei, Heft 40, 1919.)
Die meisten ihrer Kindergeschichten schrieb Josephine Siebe in einem heiteren Ton und traf damit offensichtlich den Geschmack ihres Publikums. Am bekanntesten wurden wohl ihre Kasperle-Geschichten, die die Abenteuer eines lebendig gewordenen Kasperles, eines kleinen schelmischen Ausreißers, erzählen.
1920 erkrankte Josephine Siebe schwer. Von den Folgen der Krankheit erholte sie sich zeitlebens nicht mehr völlig und war trotz unermüdlichen Schreibens auf finanzielle Hilfe von außen angewiesen. Von ihrer Schwester Ottilie Riedel gepflegt, schrieb sie bis kurz vor ihrem Tod am 26. Juli 1941. Ihre Werke werden bis heute aufgelegt.
Werke
- 1922: Henriette Goldschmidt. Ihr Leben und Schaffen
Dorf- und Kleinstadtgeschichten:
- 1908: Oberheudorfer Buben- und Mädelgeschichten
- 1912: Neue Kindergeschichten aus Oberheudorf
- 1914: Die Oberheudorfer in der Stadt
- 1919: Rund um die Rabenburg
- 1938: Fritz Immerfroh
Kasperle-Bücher:
- 1921: Kasperle auf Reisen
- 1922: Kasperle auf Burg Himmelhoch
- 1923: Kasperles Abenteuer in der Stadt
- 1925: Kasperles Schweizerreise
- 1926: Kasperle im Kasperland
- 1928: Kasperle ist wieder da
- 1930: Kasperles Spiele und Streiche
Tier- und Spielzeuggeschichten:
- 1910: Im Hasenwunderland
- 1924: Das Teddybuch
- 1934: Lump und Schlingel
Mädchenbücher:
- 1916: Die Tasse des Königs
- 1925: Lene Kellermann
Historische Erzählungen:
- 1904: Deutsche Jugend in schwerer Zeit
- 1922: Herrn de Charreards deutsche Kinder
Herausgeberin:
- 1909-1914: Das Goldene Mädchenbuch
- 1921: Das Töchteralbum
- 1929: Das Goldene Jugendbuch
Adressen in Leipzig
- 1870: Thalstraße 8 (Geburtshaus)
- Oft hat Josephine Siebe zur Untermiete gewohnt und taucht in den Adressbüchern nicht namentlich auf; in den Bürgerbüchern finden sich auch Notizen zu Auswärtsreisen.
- 1903 und Folgejahre: Weststraße 16 im späteren Henriette-Goldschmidt-Haus (heute Friedrich-Ebert-Straße), abgerissen im Jahr 2000
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Porträt in "Leipziger Lerchen - Frauen erinnern", Folge 2, herausgegeben von der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Burkhard Vetter: Pädagogische und gestalterische Aspekte zum Gesamtwerk Josephine Siebes. Diplomarbeit, Würzburg 1987.
- Nina Preißler: Josephine Siebe (1870-1941). Schriftstellerin und Frauenredakteurin. In: Leipziger Lerchen - Frauen erinnern. 2. Folge. Beucha 2000.
Autorin: Nina Preißler, 2014