Sochatzy, Dr. Martha Emilie Johanne - Leipziger Frauenporträts
- © Allgemeine Frauen-Zeitung, Nummer 7 (1893/94) Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Medizin
geboren/ gestorben
13. November 1860 (Schwanebeck/ Pommern) - 14. April 1940 (Kutschlau, Chociule, Polen)
Zitat
"Täglich fast segne ich den Entschluß, der mich diesen Beruf (der Zahnärztin) ergreifen ließ, dem ich mit Leib und Seele angehöre und dessen Ausübung mir große Befriedigung gewährt."
(In: Allgemeine Frauen-Zeitung, Nummer 7, 1893/94)
Kurzporträt
Dr. Martha Sochatzy, verheiratete Ackermann, ist die erste nachweisbare niedergelassene Zahnärztin (D.D.S. American Dentist) in Leipzig (1892-1902), die sich innerhalb kürzester Zeit zu einer der fachlich profiliertesten Zahnärzte für Frauen entwickelte.
Herkunftsfamilie
- Vater: Dr. theol. Anton Sochatzy (12.08.1810 Neutitschen, Novy Jicin, Tschechien - 24.02.1884 Schwanebeck), Pfarrer in Schwanebeck, Pommern
- Mutter: Marie Clausius (28.02.1829 Köslin, Westpommern - 05.03.1908 Altona, Hamburg)
- Geschwister:
- Marie Antonie Johanne Sochatzy (1846-1920)
- Anna Elisabeth Charlotte Sochatzy (1848-?)
- Paul Christian Wilhelm Sochatzy (1849-1904
- Elisabeth Franziska Friederike Sochatzy (1852-?)
- Johanna Eleonore Julie Therese Sochatzy (15.06.1854-?), Lehrerin
- Dr. med. Martin Carl Florentin Sochatzy (28.10.1856 Schwanebeck - 18.02.1906 Düsseldorf), praktischer Arzt in Sonnenwalde)
- Magdalene Adelhaid Marie Friederike Sochatzy (1858 -?)
- Johannes August Otto Emanuel Sochatzy (1863-1895)
Biografie
Der Allgemeine Deutsche Frauenverein informierte in Nummer 22/1883 seiner "Neuen Bahnen", dass sich seit 01.10.1883 die Zahnärztin Dr. Emilie Wiede-Focking - die Schwester der Kindergärtnerin und bekannten Jugendschriftstellerin Therese Focking - in Leipzig niedergelassen hätte. Emilie Wiede-Focking gehörte tatsächlich zu den ersten Zahnärztinnen Deutschlands, die 1873 am Baltimore College of Dental Surgery in Cincinnati ihr Studium abgeschlossen hatte, deren Niederlassung in Leipzig aber bisher nicht nachweisbar ist. 1873 hatte sie im "American Journal of Dental" einen Artikel "Ist die Frau für den Zahnarztberuf geeignet?" veröffentlicht und darin Frauen ermutigt, sich diesem Beruf zu stellen.
Die Leipzigerinnen mussten sich noch bis zum 28.07.1892 gedulden, bis tatsächlich die erste Zahnärztin ihre eigene Praxis in der Leplay-Straße 1/ Ecke Kurprinzstraße eröffnete. Unter dem Namen Dr. D.S. Martha Sochatzy - American Dentist - bot sie täglich Sprechstunden inklusive der Wochenenden von 9 bis 15 Uhr.
Der zahnärztliche Berufsstand in Deutschland musste lange um die Anerkennung als akademisch-medizinischer Beruf kämpfen. In Leipzig gab es erst ab dem 16.10.1884 ein Zahnärztliches Institut in der Goethestraße 5. Frauen waren nur vereinzelt als "Zahnbehandlerinnen" oder "Zahnkünstlerinnen" in den Praxen der Ehemänner tätig. Ambitionierte Frauen, die eine akademische Ausbildung dazu anstrebten, konnten ihre Befähigungsnachweise nur durch ein Studium in den USA erbringen, da sie in Deutschland erst ab 24.04.1899 durch einen Bundesratsbeschluss zum Studium zugelassen wurden. Von 1869 bis 1909 erwarben etwa 45 Frauen aus Deutschland den Grad des "Doctor of Dental Surgery" in den Vereinigten Staaten von Amerika, darunter Martha Sochatzy. Damit gehörte sie zu den Pionierinnen ihrer Zunft und wiederlegte "tausende zweifelsüchtige Gegner".
Martha Emilie Johanne Sochatzy, in Schwanebeck/ Pommern am 13.11.1860 geboren, wuchs in einem Pfarrhaus mit fünf Schwestern und drei Brüdern auf. Als ihre zwei Jahre ältere Schwester Magdalene eingeschult wurde, wollte auch die vierjährige Martha zur Schule gehen und war damit erfolgreich. Nach elfjähriger Schulzeit ging sie nach Dramburg, um sich in Französisch, Englisch und Musik weiterzubilden. Ins Elternhaus zurückgekehrt, arbeitete sie nach dem Vorbild der Mutter als Hausfrau und half in den Familienhaushalten der älteren Geschwister. Als ihr Bruder Martin Florentin Sochatzy seine Tätigkeit als Arzt begann, durfte Martha ihm bei Operationen assistieren. Damit wurde ihr Wunsch nach einer selbständigen medizinischen Tätigkeit geweckt, war jedoch aus pekuniären Gründen nicht umsetzbar. Nach dem Tod des Vaters 1884 sicherte die Mutter zuerst das Studium des jüngsten Bruders ab. Dies stärkte Marthas Entschluss, sich von "sklavischer Abhängigkeit" zu befreien und sich vor Verlust der eigenen Individualität zu schützen. Sie arbeitete als Wirtschafterin in Offiziershaushalten und wurde von Frauen unterstützt, die der Frauenbewegung nahestanden.
Am 10.08.1890 reiste sie von Hamburg nach Philadelphia, wo sie ab 01.09.1890 Zahnheilkunde am Pennsylvania Dental College zu studieren begann. Hier war bereits nach hartem Kampf 1867 "die Mutter aller heutigen Zahnärztinnen", die Berlinerin Henriette Hirschfeld-Tiburtius (1834-1911) als zweite Frau in den USA überhaupt zum Studium zugelassen worden.
21 Jahre später war Martha zunächst die einzige Frau unter 200 Studenten. Erfreut konstatierte sie, dass man sie hier wie die Männer als "bewußte(n) Menschen" wahrnahm "mit demselben Streben, Schaffensdrang, Thatendurst und denselben Zielen". Im Februar 1891 bestand sie ihr erstes Examen und begann in den Semesterferien mit einer Studienkollegin in einem Badeort zu praktizieren. Sie eröffneten für täglich sechs Stunden provisorisch eine kleine Praxis mit dem Nötigsten. Die dabei erlangten praktischen Fähigkeiten führten zum Examensergebnis vom 24.02.1892 mit dem Prädikat "Sehr gut" und am 02.03.1892 zum Doktor-Diplom (Doctor of Dental Surgery /D.D.S.).
Am 28.07.1892 eröffnete Martha Sochatzy ihre zahnärztliche Praxis in Leipzig. Bereits nach einem Jahr war ihre Patientinnenzahl so angewachsen, dass sie nach täglich 7 bis 8 Stunden operativer Tätigkeit und weiteren technischen Arbeiten an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit kam und sich personell verstärken musste. Die "Neuen Bahnen" hatten bereits im Mai 1892 ihren erfolgreichen Studienabschluss gewürdigt und in den Jahren 1892-1895 durch kontinuierliches Annoncieren besonders die Leipziger Frauen auf die Praxis Sochatzy aufmerksam gemacht. Trotz des enormen Arbeitspensums fand Martha Sochatzy Zeit, ihren Unterstützerinnen im ADF durch Vortragstätigkeit (nach dem Vorbild von Anna Kuhnow [1859-1923]) zu danken, so im März 1893 im Frauenbildungsverein zum Thema "Zahnpflege".
Martha Sochatzy als Vertreterin der ersten Generation der weiblichen Zahnärzteschaft stand vermutlich ebenso wie andere in den USA promovierte Zahnärzt/-innen kritisch im Fokus ihrer männlichen Kollegen. Das betraf besonders den dort erworbenen Doktortitel "Doctor of Dental Surgery - D.D.S.", der nach heftigen öffentlichen Debatten 1907 durch ein Reichsgerichtsurteil in Deutschland nicht mehr geführt werden durfte. Nur die im Inland approbierten Zahnärzte und Zahnärztinnen und deren akademische Grade wurden anerkannt. Einem erneuten Prüfungs- und Anerkennungsprozess hat sich Martha Sochatzy nicht mehr gestellt.
Nach ihrer Hochzeit am 08.01.1903 in Leipzig mit dem Rittergutsbesitzer Karl Franz Ackermann (28.10.1848 Kutschlau - 21.02.1926 Meran) verließ sie Leipzig und folgte ihm auf sein Gut nach Kutschlau. Ihre ärztliche Laufbahn hatte sie - laut Eheurkunde nun "ohne Gewerbe" - aufgegeben.
In Leipzig praktizierte dafür Ende 1904 Frau Clara Claassen in der Carlstraße.
Adressen in Leipzig
- 1893-1895: Leplaystraße 1, 3. Etage; Praxis und Wohnung gemeinsam mit ihrer Mutter Marie
- 1896-1902: Mühlgasse 4, 1. Etage; Praxis und Wohnung; ihre Mutter bis 1897
- 1903: Gottschedstraße 17, 2. Etage; Wohnung
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Stadtarchiv Leipzig, Standesamt Leipzig I, Eheregister, Nummer 26/1903.
- Frauenbildungsverein Leipzig. Vortrag über Zahnpflege von Frl. Dr. D.S. Martha Sochatzy, in: Neue Bahnen, 1893, Nummer 7 vom 1.4.1893, Seite 53.
- Korn, Arthur: Fräulein Doctor Martha Sochatzy in Leipzig, in: Allgemeine Frauen-Zeitung, Wien, Berlin, Leipzig und München, 2. Jahrgang, Nummer 7 (1893/94), S. 69
- Freundenheim, Ida (praktische Zahnärztin): Die Zahnärztin. Forderungen, Leistungen, Aussichten in diesem Berufe, F. Bange's Verlag Leipzig 1905 (Heft Nummer 17 der Reihe Frauen-Berufe, Februar 1905).
- Aerztinnen-Tafel, in: Frauen-Rundschau, Berlin, 6. Jahrgang, Heft 8 , 16.02.1905, Seite 218.
- Der Kampf gegen den amerikanischen Doktortitel, in: Zahnärztliche Mitteilungen. Organ und Eigentum des Reichsverbandes der Zahnärzte Deutschlands e. V., 18. Jahrgang 1927, Heft 22 vom 29.5.1927, Seite 263.
- Hertelendy-Michel, Ingeborg: Die Frau im zahnärztlichen Beruf, in: Zahnärztliche Mitteilungen 55, 1965b, Seite 509-511.
- Brinkschulte, Eva: Weibliche Ärzte. Die Durchsetzung des Berufsbildes in Deutschland, Berlin 1993, Seite 22.
- Gabrys, Ilse: Die Frau in Medizin und Zahnmedizin. Ein medizinhistorischer und medizinsoziologischer Überblick unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in Hamburg, zahnmedizinische Dissertation, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen 1987.
Autor: Dr. Manfred Leyh, 2019