Kuhnow, Anna Marie - Leipziger Frauenporträts
Anna Kuhnow, Zeichnung 1893 © Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V. / Archiv Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Medizin
- Frauenbewegung
- Bildung/ Pädagogik
geboren/ gestorben
27. September 1859 (Drossen, heute Ośno Lubuskie, Polen) - 28. Juni 1923 (Berlin)
Zitat
"Heute hat auch die Frau die Pflicht und das Recht, ihren Eignungen und Fähigkeiten gemäß auf den Markt des Lebens hinauszutreten; alle die Berufe, rücksichtslos auf die gefürchtete Concurrenz mit dem Manne, zu ergreifen, zu denen sie tauglich ist, und deren sind viel mehr als ihr heute erschlossen sind."
(Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf, 1896)
Kurzporträt
Dr. Anna Marie Kuhnow war ab 1890 als erste in Leipzig praktizierende voll approbierte Ärztin tätig.
In ihrer frauenärztlichen Praxis behandelte sie Mitglieder aller sozialen Schichten.
Herkunftsfamilie
- Vater: Ernst Gustav Kuhnow (geboren 1821), Gerbermeister
- Mutter Karoline (geboren 1816)
- zwei neun und elf Jahre ältere Halbbrüder aus der ersten Ehe des Vaters
Biografie
Die in Drossen (heute Ośno Lubuskie, Polen) bei Frankfurt/Oder geborene Anna Marie Kuhnow hatte schon als Mädchen den Wunsch, Ärztin zu werden. Die Schule in Drossen besuchte sie bis zum 12. Lebensjahr. Von 1871 bis 1875 war sie an der Mädchenschule in Frankfurt/Oder. Für ihre weitere Ausbildung hatte die Familie zunächst kein Geld.
Als Zwanzigjährige konnte sie mit Unterstützung der Mutter zwei Jahre lang das Lehrerinnenseminar in Frankfurt/Oder besuchen und unterrichtete danach in ihrer Heimatstadt. In dieser Zeit wurde sie Mitglied des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins ADF, dessen erklärtes Ziel es war, Frauen den Zugang zu Bildung, Studium und eigenständiger Erwerbsarbeit zu öffnen. Ihren Plan, Medizin zu studieren, hatte Anna Kuhnow nicht aufgegeben und bildete sich privat weiter, unter anderem in Latein und Mathematik. So vorbereitet, ging sie mit 25 Jahren nach Zürich. Dort legte sie 1884 mit Erfolg die Maturitätsprüfung (Abitur) ab und immatrikulierte sich an der Medizinischen Fakultät der Universität. Eine kleine finanzielle Unterstützung erhielt sie dafür aus dem 1878 gegründeten Stipendienfonds des ADF zur Förderung des Frauenstudiums.
In Deutschland war für Frauen ein Universitätsstudium erst ab Beginn des 20. Jahrhunderts möglich, so in Baden ab 1900, in Bayern ab 1903, in Württemberg ab 1904, in Sachsen ab 1906, in Thüringen ab 1907, in Hessen und Preußen ab 1908, in Elsaß-Lothringen ab 1908/09 und in Mecklenburg ab 1909. (Einzige Ausnahme an der Universität Leipzig im Bereich Medizin war Hope Bridges Adams [1855-1916], ab 1876/77 als Gasthörerin an der Medizinischen Fakultät, die 1880 als erste Frau der Neuzeit in Deutschland ihr Medizinstudium mit einem Staatsexamen abschloss. Da ihr in Deutschland die offizielle Anerkennung versagt blieb, wurde sie in Bern promoviert und erhielt 1881 in Dublin die britische Approbation).
Die Schweiz spielte eine Vorreiterrolle beim Frauenstudium. An der Universität Zürich war das Frauenstudium ab 1863 möglich. Vor Anna Kuhnow hatten hier die ebenfalls aus Deutschland stammenden Frauen Franziska Tiburtius (1843-1927) ab 1870 und Emilie Lehmus (1841-1932) ab 1871 Medizin studiert, wurden 1875 beziehungsweise 1876 promoviert und führten ab 1877 in Berlin gemeinsam die erste Poliklinik weiblicher Ärzte für Frauen und Kinder. 1889 begann auch Bertha Friederika Bebel (1869-1948), Tochter von Julie und August Bebel, ein Medizin-Studium in Zürich.
Anna Kuhnow beendete 1889 ihr Studium mit dem Staatsexamen, Prädikat "Sehr gut". Im gleichen Jahr promovierte sie auf dem Gebiet der Gynäkologie und Geburtshilfe an der Universität Zürich. Die Gewerbeordnung von 1869 versagte Frauen in Deutschland die staatliche Zulassung als Ärztinnen. Sie konnten nur mit vielen Einschränkungen praktizieren. Anna Kuhnow bewarb sich deshalb um eine Anstellung in den USA an der von Frauen geleiteten New York Informary for Women and Children mit angeschlossener Frauenhochschule. Sie arbeitete dort von 1889 bis 1890 als Ärztin, dazu als Dozentin am Women's Medical College. Auch von den USA aus pflegte sie die Verbindung zum ADF und berichtete in dessen Vereinszeitschrift "Neue Bahnen" über ihre New Yorker Tätigkeit und Erfahrungen (einzusehen im Louise-Otto-Peters-Archiv Leipzig). Erst 1898 erhielt Anna Marie Kuhnow vom Kultusministerium Sachsen als erste deutsche, aber im Ausland approbierte und promovierte Ärztin die offizielle Erlaubnis, sich auch in Deutschland Doktor der Medizin zu nennen. Die Biografin Gertrud Wencke Zink hat nachgewiesen, dass Kuhnow in dieser Zeit bereits Vertrauensärztin für fünf Lebensversicherungsgesellschaften und ihre fachliche Arbeit also anerkannt war.
Nach ihrer Rückkehr praktizierte Anna Kuhnow 1890 bis 1900 als erste niedergelassene approbierte Ärztin in Leipzig. In ihre frauenärztliche Praxis kamen Mitglieder aller sozialen Schichten. Zu ihren Patientinnen gehörte Louise Otto-Peters (1819-1895), die Mitbegründerin der deutschen Frauenbewegung, mit der sie befreundet war und die sie in deren letzten Lebensstunden am 13. März 1895 betreute. Dr. Anna Kuhnow wie Dr. Käthe Windscheid (1859-1943), die Leiterin der Gymnasialkurse für Mädchen des ADF, gehören zur "Töchtergeneration" der deutschen Frauenbewegung. Es wird für Louise Otto-Peters, Auguste Schmidt, Henriette Goldschmidt und viele andere Begründerinnen eine große Freude und Bestätigung ihrer Arbeit in den Frauenvereinen gewesen sein, das Wirken von Dr. Kuhnow und Dr. Windscheid in Leipzig noch mitzuerleben.
In öffentlichen Vorträgen, Schriften sowie Artikeln in den "Neuen Bahnen" und anderen Zeitschriften trat Anna Kuhnow für Frauenbildung, Gesundheitspflege und -erziehung ein. Als Ärztin und als Frauenrechtlerin engagierte sie sich für Reformkleidung, die die ungesunden Einschnürungen durch das gebräuchliche Korsett beseitigen und den Frauen mehr Bewegungsfreiheit im beruflichen und privaten Leben ermöglichen sollte. Beim sächsischen Kultusministerium petitionierte sie, vom ADF unterstützt, mehrfach für das Verbot des Korsetttragens in Schulen. Ihre Empfehlungen setzte sie auch praktisch um, ließ Reformkleidung nach eigenen Entwürfen anfertigen und vertreiben.
Ab 1900 arbeitete Anna Kuhnow an der Klinik weiblicher Ärzte für Frauen von Franziska Tiburtius und Emilie Lehmus sowie in ihrer eigenen Praxis in Berlin. Ihren Plan, auch in Leipzig eine von Frauen geleitete Klinik für Frauen zu gründen, hatte sie nicht verwirklichen können. Dr. Anna Kuhnow starb am 28. Juni 1923 in Berlin.
Werke
- Statisch-mechanische Untersuchungen über die Haltung der Schwangeren, Leipzig 1889 (Dissertation Zürich).
- Die Frauenkleidung vom Standpunkte der Hygiene, Leipzig 1893.
- Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf, Leipzig 1896.
Adressen in Leipzig
- 1890-1893/1894: Ranstädter Steinweg 13 (Praxis und Wohnung; das Haus steht nicht mehr)
- 1894-1900: Pfaffendorfer Straße 17
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Anna-Kuhnow-Straße (seit 2011, 04317 Leipzig; mit Erläuterungstafel)
- Gedenktafel der Stadt Leipzig am Haus Ranstädter Steinweg 5 seit dem 22.06.2023, gestaltet von Christiane Werner: "Im damaligen Haus Ranstädter Steinweg Nr. 13 wohnte und arbeitete von 1890 bis 1893 Dr. Anna Maria Kuhnow 1859 – 1923. In öffentlichen Vorträgen und Schriften trat sie für Frauenbildung, Gesundheitspflege und -erziehung ein. Die Ärztin engagierte sich auch für Reformkleidung, um die ungesunden Einschnürungen durch das gebräuchliche Korsett zu beseitigen. Frauen sollten mehr Bewegungsfreiheit im beruflichen und privaten Leben erhalten." Stadt Leipzig 2023
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Wencke Zink, Anna Marie Kuhnow (1859-1923). Erste in Leipzig praktizierende approbierte Ärztin, in: Leipziger Lerchen - Frauen erinnern, 2. Folge, Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V. (Herausgeber), Beucha 2000.
- Gertrud Wencke Zink geborene Stechert, Anna Marie Kuhnow (1859-1923). Leben und Werk der ersten in Leipzig praktizierenden approbierten Ärztin. Dissertation, Leipzig 2000.
- Eva Brinkschulte (Herausgeberin), Weibliche Ärzte. Die Durchsetzung des Berufsbildes in Deutschland, Berlin 1994.
Autorin: Gerlinde Kämmerer, 2013/2023