Hart, Felicia (Dr. jur., geborene Schulsinger) - Leipziger Frauenporträts
Felicia Schulsinger © Steffen Held, Leipzig, Privatsammlung Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Recht
geboren/ gestorben
14. Oktober 1903 (Lodz) - 30. Dezember 1976 (London)
Zitat
"Der Verlust der Anwaltstätigkeit und der beruflichen Selbständigkeit lastete als schwerer Schicksalsschlag auf mir, es bedrückte mich schmerzhaft für den Rest meines Lebens; ich vermisste die Rechtswissenschaft sehr."
Kurzporträt
Felicia Hart war die erste und auch einzige Anwältin jüdischen Glaubens in Leipzig vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Herkunftsfamilie
- Vater: Hermann Moschek Schulsinger (1874-1919)
- Mutter: Salomea (Selma) Sura, geborene Oppenheimer (1875-1942)
- Geschwister:
- Jakob (1902-1944)
- Siegfried (1907-1937)
Biografie
Am 14. Oktober 1903 wurde Felicia Schulsinger in Lodz, das von Russland verwaltet wurde, geboren. Der Vater Hermann Moschek Schulsinger war Kaufmann, die Mutter Selma war Hausfrau. Die Eltern sprachen Deutsch, Polnisch und Russisch. Hermann Schulsinger hatte es zu einigen Wohlstand gebracht. Zum Haushalt gehörte auch ein Dienstmädchen. Im Februar 1906 verließ das Ehepaar Schulsinger mit den Kindern und dem Dienstmädchen aus politischen Gründen Lodz und kam nach Leipzig.
Hermann Schulsinger wurde Mitinhaber der Gummiwarenfabrik Hermann Wrück und arbeitete als Prokurist in der Firma. Felicia Schulsinger, die im sächsischen Dialekt redete, wuchs in einer jüdischen religiös-liberalen Familie auf, die die russische Staatsbürgerschaft besaß. Hermann Schulsinger trat 1908 dem Nationalliberalen Verein für Leipzig und Umgebung bei. Nachdem seit 1913 ein nationales Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz galt, stellte Hermann Schulsinger einen Antrag auf Einbürgerung, der aber erfolglos war, da er keine Bescheinigung über die Entlassung aus der russischen Staatsbürgerschaft erbringen konnte. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der territorialen Neugliederung Europas kam Lodz zur Republik Polen. Die Familie Schulsinger nahm die polnische Staatsbürgerschaft an.
Felicia Schulsinger besuchte eine höhere Schule und bestand im März 1923 die Abiturprüfungen. Bereits zum Sommersemester 1923 begann sie an der Juristenfakultät der Universität Leipzig ein Jurastudium, das sie im Juli 1926 mit der Ersten Staatsprüfung erfolgreich abschloss. Durch ihre polnische Staatsbürgerschaft galt sie als Ausländerin und Ausländer waren vom Referendariat ausgeschlossen. Felicia Schulsinger übernahm eine Tätigkeit als juristische Hilfsarbeiterin bei einem Rechtsanwalt und bemühte sich um ihre Einbürgerung. Im November 1928 kam die erlösende Nachricht: Sie wurde deutsche Staatsbürgerin und konnte die Referendarausbildung beginnen. Diese Ausbildung, die eine Tätigkeit bei einem sächsischen Gericht vorsah, absolvierte sie am Amtsgericht in Brand-Erbisdorf (Osterzgebirge), wo Juristinnen zu dieser Zeit noch als Exotinnen betrachtet wurden. 1932 bestand Felicia Schulsinger das Zweite juristische Staatsexamen, wurde an der Juristenfakultät promoviert und erhielt zuletzt die Zulassung als Rechtsanwältin beim Amtsgericht und beim Landgericht Leipzig. Mit ihrer nichtjüdischen Freundin Elisabeth Struckmann ging sie eine Sozietät ein; die Anwaltskanzlei befand sich in der Harkortstraße 1.
Am 6. April 1933 heiratete Felicia Schulsinger den Arzt Johannes Hart. Am Tag darauf ergingen das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" und das "Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft". Drei Wochen später erhielt Felicia Hart eine Mitteilung des Sächsischen Justizministeriums, dass ihr als Jüdin Berufsverbot erteilt werde. Als dann im Juni 1933 noch ihrem Mann als jüdischem Arzt die Kassenzulassung entzogen wurde, fasste das Ehepaar den Entschluss, Deutschland zu verlassen. Im August 1933 emigrierte Johannes Hart nach England, im November folgte ihm seine Frau. Sie ließen sich in London nieder. Hier wurde im Januar 1934 ihr einziges Kind, Herbert, geboren. Johannes Hart erhielt die Zulassung als Arzt und eröffnete 1936 eine Praxis. Felicia Hart gelang es nicht, auch in England als Anwältin zugelassen zu werden. Schließlich übernahm sie die Patientenverwaltung in der Praxis ihres Mannes. 1946 erhielt das Ehepaar Hart die britische Staatsangehörigkeit. 1954, im Alter von nur 53 Jahren, starb Johannes Hart. Felicia Hart fand eine Anstellung als Rechtsberaterin bei einer Anwaltskanzlei in London und beriet dort jüdische Mandant/-innen bei Restitutionsansprüchen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland. Eine Reise nach Deutschland (West oder Ost) kam für sie nicht in Frage. Deutlich wurde dies, als sie 1966 auf einer internationalen Völkerrechtskonferenz in Helsinki dem Leipziger Rechtswissenschaftler Rudolf Arzinger, Dekan der Juristischen Fakultät, begegnete und dieser einige Wochen später in einem Brief eine Fortsetzung des Kontaktes wünschte: Felicia Hart wollte keinen privaten Kontakt zu Deutschen, denn sie konnte ihnen die Ermordung ihrer Mutter im Jahre 1942 und ihres Bruders Jakob im Jahre 1944 in Vernichtungslagern im besetzten Polen nicht vergeben.
Am 30. Dezember 1976 starb Felicia Hart mit 73 Jahren in London.
Werke
- Die sogenannten Vorbereitungshandlungen des Entwurfes eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches vom Jahre 1927, Engelsdorf/Leipzig 1932.
Adressen in Leipzig
- 1906: Mittelstraße 18 (heute: Zittauer Straße)
- 1910: Comeniusstraße 20
- 1917: Kreuzstraße 1a
- 1932: Schönbachstraße 34
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- 2022 stand ihr Name auf der von der AG Frauenprojekte initiierten Liste mit über 80 Vorschlägen für weibliche Straßennamen in Leipzig, die der Stadt übergeben wurde.
- 11.09.2022 Gegenwart aus Tradition gestalten. Jüdische Frauenperspektiven in Leipzig. Symposium & Workshops des Netzwerkes Jüdisches Leben Leipzig und von Bet Debora Berlin mit Erinnerungen an Henriette Goldschmidt (1825-1920), Bettina Brenner (1877-1948), Edith Mendelssohn Bartholdy (1882-1969), Louise Ariowitsch (1856-1939), Gertrud Herrmann (1896-1942 deportiert), Gerda Taro (1910-1937), Felicia Hart (1903-1976), Alice Seiffert (1897-1976) (alle aus dem Frauen online-Portal) und andere mehr
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Steffen Held, "... weder vor noch hinter der Barriere". Die Verdrängung von Frauen aus den juristischen Professionen im Nationalsozialismus am Beispiel Sachsens. In: Leipzig, Mitteldeutschland und Europa. Festgabe für Manfred Straube und Manfred Unger zum 70. Geburtstag. Herausgegeben von Helmut Zwahr, Uwe Schirmer, Henning Steinführer, Beucha 2000, Seiten 181-191.
- Hubert Lang, Zwischen allen Stühlen. Juristen jüdischer Herkunft in Leipzig (1848-1953), Nürnberg 2014.
Autor: Steffen Held, 2014