von Holstein, Antonie Wilhelmine Hedwig (geborene Salomon) - Leipziger Frauenporträts
Hedwig v. Holstein © Repro Archiv Gerlinde Kämmerer Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Musik
- Soziales
- Stiftungswesen
geboren/ gestorben
6. Februar 1822 (Leipzig) - 19. Oktober 1897 (Leipzig)
Zitat
"Ich will nicht haben, sondern sein."
Kurzporträt
Hedwig von Holstein förderte das Musikleben, unterstützte den Bachverein und initiierte die Holstein-Stiftung für unbemittelte Musikstudierende. Das von ihr begründete Salomonstift, eine Wohnstiftung für Arbeiterfamilien und alleinstehende Frauen, umfasst seit 1891 sieben große Wohnhäuser und Grünflächen.
Herkunftsfamilie
- Vater: Rudolf Julius Salomon (1779-1851), Kaufmann, Teilhaber der Seidenwarenhandlung Johann Preußer & Co., im Ruhestand Stadtrat und ehrenamtlicher Vorsteher des Johannisspitals, auf seinem Grund und Boden entstand die Ostvorstadt, 1840 Salomonstraße nach ihm benannt
- Mutter: Ehefrau Julie Sophie Salomon (1791-1876), geborene Heinrichs
- Schwestern:
- Johanna Julia Elisabeth Seeburg, geborene Salomon (1817-1888)
- Pflegeschwester Luise
Biografie
Hedwig und Elisabeth Salomon wuchsen in sehr reichen Verhältnissen auf. Freundinnen von Kindheit an waren Isidore und Annette Preußer, die jüngeren Töchter des väterlichen Firmenpartners. Nach 1848 gründete Hedwig mit Annette mehrere Kinderbewahranstalten, beteiligte sich 1861 an der Schaffung der "Dienstboten Lehranstalt", 1869 an der "Herberge für weibliche Dienstboten".
Mit Musikverlagen, Gewandhausorchester und dem ersten deutschen Konservatorium war Leipzig die deutsche Musikstadt. Viele großbürgerliche Familien veranstalteten Hauskonzerte; Musiker und Komponisten gehörten auch bei Salomons zum Freundeskreis. Diese Tradition setzten beide Schwestern später fort. Sie erlebten die Großen Konzerte und erhielten eine Gesangsausbildung.
Hedwig sang unter Mendelssohn im Gewandhauschor. Durch Konzertbesuche, eigene Auftritte und den Umgang mit Musikern, Komponisten, Verlegern und Musikveranstaltern entwickelte sie ein eigenständiges, über Salon-Wissen hinausgehendes Urteilsvermögen zur Musik ihrer Zeit. Ihre Schilderung der Besuche im Hause Mendelssohn, des ersten Zusammentreffens mit dem jungen Brahms 1853, ihre Anmerkungen zu Berlioz und andere mehr werden noch heute zitiert. Zu Hedwigs Vertrauten gehörten unter anderem Clara und Gustav Theodor Fechner, Thomaskantor Moritz Hauptmann und Frau Susette, Malerin und Sängerin, Elisabeth und Heinrich Herzogenberg, Constanze und Heinrich Konrad Schleinitz. Hedwig verkehrte bei Clara Schumann und Livia Frege, beweinte Mendelssohn, bewunderte Brahms und war glücklich, "die Freundschaft der Besten" zu genießen. Ihre bemerkenswerte Fähigkeit zu lebenslangen Freundschaften realisierte sie auch über Tausende Briefe. Sie hinterließ Tagebuchaufzeichnungen, Gedichte und eine Novelle. Ihr Ton blieb bis ins Alter ironisch, selbstironisch und lebhaft.
Im Gegensatz zu ihrer Schwester blieb Hedwig lange unverheiratet; sie vermutete hinter jeder Werbung vorrangig ein Interesse am Vermögen ihrer Familie. 1843 verliebte sie sich in den dänischen Komponisten Niels Gade (1817-1890). Er verkehrte häufig bei Salomons und Seeburgs, schrieb Lieder für die Schwestern. Hedwig verbrachte diese Jahre mit "Wirthschaft, Klavierspiel, Grabunkespielen mit dem podagrakranken Vater, Schachspiel mit der Mutter, Gartenarbeiten, Bibellesen und
Dänischlernen" ̶ lange auf seinen Antrag wartend, bis Gade 1848 Leipzig verließ.
1854 fand Hedwig in dem aus Braunschweig stammenden Franz von Holstein (1826-1878) die Liebe ihres Lebens. Holstein hatte sich trotz begonnener Militärkarriere für die Musik entschieden. Als er seine Studien am Konservatorium aus finanziellen Gründen nicht fortsetzen konnte, ermöglichte eine von Hedwig erbetene anonyme Geldspende Mutter Salomons seine Rückkehr nach Leipzig. Nach heimlicher Verlobung am 1. April heirateten Hedwig Salomon und Franz von Holstein am 4. September 1855 in der Nikolaikirche. Hedwig führte ihn in ihren Freundeskreis ein, vermittelte Kontakte. Ihr Erbe ermöglichte Bildungsreisen in die schönsten Gegenden Europas.
Durch Hedwig finanziell abgesichert, hatte er Muße zum Dichten und Komponieren. Nach Liedern, Kirchen- und Kammermusik vollendete er 1866 seine erste Oper "Der Haideschacht". Am 16. Februar 1867, Franz' Geburtstag, veranstaltete Hedwig nach heimlichen Proben eine Privataufführung seiner Oper, in der sie und Elisabeth Solopartien sangen; eine weitere Privataufführung vor großem Publikum folgte sechs Wochen später im Hause Seeburg.
Nach dem Tod ihres Mannes 1878 nahm Hedwig zu Franz' Schwester Helene, die seit 1857 beim Ehepaar wohnte, auch die befreundete Thomaskantorenwitwe Susette Hauptmann und deren Tochter in der Villa Salomonstraße, ein Geschenk Mutter Salomons von 1875, auf. Hedwig kümmerte sich um weitere Aufführungen der Werke Holsteins, den Druck seiner Kompositionen und Gedichte. Als sein Vermächtnis errichtete sie eine Stiftung über 100.000 Mark zur Unterstützung unbemittelter Musikstudenten; am 16. Februar 1879 wurde das im Garten errichtete Pensionat als "Holsteinstift" eingeweiht. Ihre Ehe war kinderlos geblieben; nun brachten jeweils sieben Zöglinge, ihre "Kinder - Künstler - Egoisten", von denen sie bis 1897 noch 72 selbst betreute, jugendliche Unruhe ins Haus.
"Die sieben Raben", zum Teil von Freunden wie Schleinitz oder Clara Schumann empfohlen, fanden hier kostenlose Unterkunft und Frühstück, Klavier und Bibliothek sowie Freistellen am Konservatorium. Literaturabende und Konzerte wurden veranstaltet, Kompositionen Holsteins sowie der Stipendiaten vorgestellt, ebenso andere zeitgenössische Werke, wie zum Beispiel eine Sonate der Musikstudentin Ethel Smyth, die ab 1878 in der Nachbarschaft wohnte. Einer der ersten Zöglinge, fast ein Pflegesohn, war Max Fiedler (1859-1939), der Hedwig die Bekanntschaft mit Musikern wie Brahms, Rheinberger, Gade und anderen verdankte und später als bedeutender Brahms-Interpret Erfolg hatte. 1893 war Hermann Duncker (1874-1960) bei Frau von Holstein Stipendiat, der spätere Politiker und Ehemann der Sozialistin Käte Duncker.
Als Vermächtnis ihrer Mutter errichtete Hedwig 1877 die Salomonstiftung, die mit dem Erbe Elisabeth Seeburgs von 1888 zu einer Wohnstiftung für Arbeiterfamilien und alleinstehende Frauen erweitert wurde. Ab 1891 ließ Frau von Holstein durch Arwed Roßbach nach dem Vorbild der Fuggerei Augsburg eine Wohnanlage mit sieben nach den Mitgliedern der Familien Salomon/ Seeburg/ Holstein benannten Häusern, Gemeinschaftseinrichtungen und Grünflächen erbauen. Hedwig von Holstein gehört damit wie Arwed Roßbach selbst (Ostheimsiedlung) oder Herrmann Julius Meyer (Meyersche Häuser) zu den bedeutenden Stifter/-innen bezahlbaren und gesunden Wohnraums für Arbeiterfamilien in Leipzig.
Im Herbst 1897 schloss sich Hedwigs Lebenskreis. Nach dem Besuch der Probe zur Gedächtnisfeier für Brahms erkrankte sie, starb am 18. Oktober und wurde auf dem Neuen Johannisfriedhof im Grab Franz von Holsteins beigesetzt, wo bereits Elisabeth Seeburg bestattet worden war.
Alle Zitate aus "Eine Glückliche...", 1902.
Werke
- 1879-1920er Jahre?: Holstein-Stiftung mit Unterkunft und Stipendien für unbemittelte Musikstudierende des Leipziger Konservatoriums
- 1877 Salomonstift: Wohnstiftung für Arbeiterfamilien und alleinstehende Frauen, ab 1891 Wohnanlage mit Wohnhäusern
- Gemeinschaftseinrichtungen und Grünflächen (heute Eilenburger Straße 22)
Adressen in Leipzig
- um 1835-1855(?): Johannesgasse 1316/1328(?), Neubau in Reimers Garten (ehemaliger Großbosischer Garten)
- 1858: Querstraße 1, mit Ehemann Franz von Holstein im Haus der Mutter
- 1859: Roßplatz 12, mit Franz
- 1864-1875: Querstraße 24, 1. und 2. Etage, mit Franz
- 1875: Salomonstraße 21 b, mit Franz
- 1879-1897: Salomonstraße 21 b, ab 1886 als Nummer 7 geführt: Hedwig von Holstein, privat
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Porträtgemälde Hedwig von Holsteins, 1897, von Vilma von Parlaghy-Brachfeld, im Museum der bildenden Künste
- Wohnanlage Salomonstift (heute Eigentumswohnungen), Eilenburger Straße
- 70 Objekte, darunter 23 Autographe/ Briefe Hedwig von Holsteins im Stadtgeschichtlichen Museum
- Musiker-Autographe aus ihrer großen Sammlung im Archiv der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy"
- Seit 19.10.2022 Gedenktafel der Stadt Leipzig für H.V.H., gestaltet von Katja Zwirnmann, in der Salomonstraße 11 a
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Eine Glückliche. Hedwig von Holstein in ihren Briefen und Tagebuchblättern, herausgegeben von Helene von Vesque. Leipzig 1902.
- Gerhart Glaser: Franz von Holstein - ein Dichterkomponist des 19. Jahrhunderts (Dissertation), Leipzig 1930.
- La Mara: Hedwig von Holstein. Ein Nachruf. ohne Ort, ohne Datum (wahrscheinlich 1897).
- Brigitte Richter: Freunde zu Gast im Hause Felix Mendelssohn Bartholdys in Leipzig. Eudora Verlag Leipzig 2011.
- Martin Geck: Nicht nur Komponisten-Gattin. Hedwig von Holstein im Musikleben ihrer Zeit. In: Traditionen - Neuansätze, herausgegeben von Klaus Hortschansky. Tutzing 1997.
- Hans-Josef Irmen: Max Fiedler als Stipendiat der Holstein-Stiftung, in: Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für Mittelrheinische
- Musikgeschichte, Arbeitsgemeinschaft für Mittelrheinische Musikgeschichte: Mitteilungen. September 1970, 36.
- A. E. O. Paul: Der Neue Johannisfriedhof zu Leipzig. Leipzig 2012.
Autorin: Gerlinde Kämmerer, 2015